Ich sitze in meinem Liegestuhl auf meinem Balkon und lese. Eine Biene kommt und fliegt zielgerichtet – im Nachhinein denke ich: war sie schon öfter hier? – in ein Loch in meinem Fensterrahmen.
Ich bin überrascht.
Das Loch hat einen Durchmesser von knapp 2 Zentimetern und ist vielleicht drei Zentimeter tief, so tief wie mein Fensterrahmen eben. Ist mir noch nie aufgefallen, das Loch, keine Ahnung wozu es gut ist. Noch weniger aber verstehe ich, was die Biene da drin will. Ich bin alarmiert. Legt sie da drin Eier? Kann eine Biene sich in einem so winzigen Loch vermehren, ein Königinnenreich aus Bienen errichten, mir den Sommer verderben mit ihrem Summen und Brummen und Stechen? Ich müsste das wissen, so viele Artikel und Bücher wie über Bienen erschienen sind, ich müsste die Biene und ihr Königinnenreich auf meinem Balkon nicht nur tolerieren, nein appreciaten müsste ich sie, so vom Aussterben bedroht und wichtigwichtig für uns alle und die Umwelt sie ist. Aber ich bin ein Arschloch und will meinen Balkon für mich alleine haben. Was also tun? Ich schaue vorsichtig ins Loch. Sie ist immer noch drin. Der Länge nach, Po zu mir, Kopf nach vorne, sie kann sich da drin nicht mal umdrehen. Sie verharrt, ich sehe, wie ihre Fühler vorne ein bisschen tasten. Gibts in diesem sinnlosen Dreckloch irgendwas was ihr schmeckt?
Ich lese weiter. Drei Minuten später, sie ist immer noch drin. Was will sie denn da? Ich ärgere mich. Ich traue ihr nicht. Tiere habe doch immer was zu tun. Sie sind die getriebensten Streber auf dem ganzen Planeten, Ich-AGs, rund um die Uhr unterwegs, im Auftrag von Leben und Sterben inc., ganz besonders die Bienen. Ich nehme ein Streichholz und zünde es an. Ich halte es vor das Loch, puste es aus, es qualmt, stinkt nach Schwefel. Ausräuchern nennt man das. Ich bin so ein Arschloch. Hastig werfe ich das Streichholz weg.
Ich halte meinen E-reader vor das Loch, drücke ihr die Luft ab. Nur ganz kurz. Sauerstoff-Entzug. Weg, das Buch. Sie kommt nicht raus. Ich zünde ein Teelicht in einem Glas an, stelle es direkt vor das Loch, vielleicht verdirbt ihr das Licht den Aufenthaltsort. Bisschen Abstand zwischen Glas und Loch ist noch, aber nicht genug für sie, um rauszukommen. Ich lasse das Licht etwas eine Minute brennen, dann nehme ich das Glas weg.
Sie fliegt raus.
Ich fühle mich schlecht.
All das Biene Maja gucken. Nichts genützt.
Vielleicht wollte sie einfach nur ihre Ruhe, wie ich. Vielleicht wollte sie einfach nur mal weg vom summenden brummenden Bienenstab, in dem die Anforderungen hoch sind, der Arbeitstag lang, das Regiment straff, das Überleben schwer, wollte ein paar Minuten ausruhen, an einem ruhigen, kühlen Zufluchtsort, um einen Moment durchzuatmen, nachzuspüren, was das ist, das Leben. Ein Ort, an dem sie einfach nur mal ein paar Minuten lang eine sinnlose Biene sein kann.
Ich bin so ein korrumpiertes Arschloch. Warum konnte ich sie nicht einfach in Ruhe lassen.