Es ist doch so: Die ganze Stadt ist voller Tiere. Voller Vögel zum Beispiel. Die sitzen in Parks rum, brüllen um 5 Uhr morgens von den Bäumen runter, kacken von Dächern, latschen im Cowboygang über die Hauptverkehrsader, wohnen auf Müll-Haufen und frühstücken Croissants im Cafe. Füchse. Laufen nachts auf der Straße an einem vorbei. Mäuse. Huschen über die U-Bahn-Schienen. Ratten. Kruscheln hektisch im Gebüsch, halten inne, Auge in Auge mit dir und deinem Sushi aus dem Plastikschälchen, das du gerade auf einer Bank am Alex verspeist.
Ein Leben also, ein blühendes, sichtbares Leben allüberall auf den Tannenspitzen! – aber ein Sterben? Wo zur Hölle sterben diese ganzen Viecher? Klar, ab und an sieht man mal den ein oder anderen Vogel zermatscht auf der Straße liegen oder sich mit inneren Todesprozessen auf dem Gehweg krümmen – Verkehrsunfall, Lebensmittelvergiftung, das sind die Kollateralschäden des Großstadtlebens, das kennen wir auch.
Aus dem Nest gefallen – okay, vom (einzigen) Fressfeind (der Innenhof-Katze, die will nur spielen), zerfleddert – klar. Aber diese dramatischen Tode sollten doch, wie bei uns, eher die Ausnahme sein. Was ist mit den natürlichen Toden? Mit den Herzinfarkten, den Schlaganfällen, den tödlichen Krankheiten, der Altersschwäche? An irgendwas müssen diese Tiere sterben. Und zwar ständig. Aber: Wo? Wo?, frage ich euch.
Müssten wir nicht, wo wir gehen und stehen auf tote Tiere treten? Müssten wir nicht dauernd über Tierleichen steigen, auf dem U-Bahn-Gleis, am Fahrradständer, auf den Stufen zum Cafe, sie mit der gleichen routinierten Haltung quittieren wie Obdachlose, schon wieder einer, welche Karte ziehen wir, höflich beiseiteschieben oder komplett durchignorieren?
Ich meine, das sind doch Tier-Massen! Die müssen irgendwo sein! Die Nestdichte hier ist so groß wie in keiner anderen Metropole Deutschlands, Ratten sind ne Plage, Mäuse erobern die Altbau-Wohnungen, Krähen schließen sich zu Gangs zusammen und essen den Eichhörnchen die Nüsse weg. Jeder Hipster-Vogel, der was auf sich hält, zieht hierher, um auf die gemeine Dummtaube runterzuschauen, die blöde gurrend wegen einem Schrippe-Krümel unter den Bus gerät, weil sie zu blöd ist, das Großstadttempo zu kapieren, zieh doch nach Marzahn, Alter.
Oder haben diese ganzen Tiere irgendwo im Untergrund ein gut organisiertes Geheimsystem aus Palliativstationen, Beerdigungsinstituten und Friedhöfen? Effektives und diskretes Ableben je nach Status garantiert, so wie bei uns. Wo sind all die toten Tiere hin? Wo sind sie geblieben? Hat die Wissenschaft da was übersehen? Wurden da Forschungsgelder wegen Lobbyarbeit für die falschen Studien ausgegeben? Und jetzt komm mir keiner mit: Die gehen zum Sterben in den Wald. Das ist ja wohl total sozialromantisch. Ich meine, in welchen Wald denn bitte? Der ist doch viel zu weit weg. So ein Mitte-Vogel schafft‘s doch grade mal in den Weinmeisterpark. Und wer will schon im Görli sein Leben aushauchen? Oder sich im Tiergarten aus Kondomen ein Sterbebett bauen?
Dann lieber gleich auf die Verkehrsinsel. Da hat man wenigstens seine Ruhe.