Wenns um mein Alter geht, lüge ich wie gedruckt. Da bin ich schlimmer als eine Schauspiel-Diva.
Ich finde Alter scheiße. Und mein Alter finde ich ganz besonders scheiße. Und noch scheißiger finde ich Leute, die sagen, wieso stehst du nicht zu Deinem Alter. Sowas sagen nur Leute, die immer zur rechten Zeit am rechten Ort waren, mit beiden Beinen mitten im Leben stehen, rechtzeitig erreicht haben, was es zu erreichen gilt. Ich hasse solche Leute. So ein Leut war ich nicht mal bei meiner Geburt. Da hatte ich schon Ringe unter den Augen.
Wie alt bist du? – Da denk ich mir schnell was Passendes aus. Ich seh’s nämlich nicht mehr ein. Wie schnell hat man sich heute mit einer ehrlichen Antwort auf diese Frage einen Standortnachteil eingehandelt, weil man mal wieder zu alt oder zu jung ist, für das, was man gerade will oder was die anderen von einem wollen.
Das Problem ist allerdings, dass ich sehr schlecht im Kopfrechnen bin, so dass ich auf Folgefragen, wie: Seit wann wohnst du in Berlin? Wann hast du studiert? Wie alt ist dein acht Jahre jüngerer Bruder? oft nicht schnell genug antworten kann, und ich ins Schwimmen gerate. Dann wird aus einer Lüge, wie im Falle aller Lügen, eine riesen Story, vor deren Komplexität man auf keinen Fall klein beigeben darf, die man gnadenlos aufbauschen und kaltblütig durchziehen muss. Am Ende tun mir die Leute leid, weil ich sie leider nicht mehr in mein Leben lassen kann. Im Grunde muss ich sie umbringen. Es ist einfach zu viel passiert.
Wie alt bist du? – Ich kann die Reaktionen auf die Antwort nicht ertragen, immer diese REAKTIONEN in den Gesichtern. Was holen die Leute sich da ab, wenn sie das fragen, worauf wollen die hinaus, was hat die Antwort auf die Frage eigentlich zu bedeuten? Denn die Frage wirkt sehr bedeutungsvoll, und mit der Antwort scheint immer einiges klar zu sein, um nicht zu sagen: alles. Alles klar. Immer stößt man da auf was, wenn man diese Zahl raushaut, auf Einverständnis, Nähe, Irritation, Geringschätzigkeit, heimliche oder offene Überraschung, Die Frage hat immer viel mit dem Fragenden zu tun. Da findet ein Abgleich statt, in Sekundenschnelle, anhand des besser-schlechter-Koordinatensystems, fest implementiert in unserem Gehirn. Die Antwort dockt in einer nur dafür zuständigen Ecke des Gehirns an, wird per Blitz-Synapse schematisch-assoziativ befragt, abgespeichert, und nie mehr vergessen.
Als wäre man nicht eh immer schon ZU irgendwas in dieser Welt: Zu spießig, zu nett, zu arm, zu kindisch, zu langweilig, zu großbusig zu kleinnasig, zu dumm, zu still, zu laut, und dann auch noch: zu jung, zu alt? Für den Job, die Freundschaft, den Sport, das Interesse, die Lebensweise. Warum muss ich mich damit auch noch rumschlagen, muss mich von einer objektiven Zahl und den so Ich-gefärbten wie sozial repressiven Assoziationen, die sie in den Gehirnen meiner Umgebung auslöst, tyrannisieren lassen? Am Schlimmsten sind die Folgekommentare. Hast dich aber gut gehalten. Echt, hätte ich jetzt nicht gedacht. Ach, genau wie ich! Ich meine, was soll das?
Ich steh nicht zu meinem Alter, das seh ich gar nicht ein. Ich steh eh zu gar nix. Ich stehe höchstens dazu, dass das Faktum meines Alters mich mit Komplexen belädt, wie der Rest meines ZU-Lebens auch. Und wenn ich an dieser kleinen Stellschraube die Möglichkeit habe, AUSNAHMSWEISE einfach mal ein bisschen unlocker und neurotisch zu sein, dann mach ich das.
Die sozialen Medien bieten Menschen wie mir da einen großen Vorteil. Klarnamen und Alter werden überall abgepresst, aber es gehört inzwischen zum guten Ton, diese Forderung nicht zu erfüllen, und sich trickreich um deren Nennung drum rum zu drücken, um kein willfähriges Opfer von Werbeindustrie und Vollüberwachung zu werden.
Sehr junge Menschen und sehr alte Menschen reden gerne über ihr Alter. Sie sind stolz darauf. Frauen im mittleren Alter, also so zwischen 25 und 69 stellen sehr gerne die Frage nach dem Alter, reden aber nicht gern über ihr eigenes, und Männer haben ihr Alter meist vergessen. Die schauen dann im Perso nach.
Nächstes Jahr jedenfalls, spul ich einfach mal vor, und feiere meinen 50sten Geburstag. Ich fühle mich so langsam in der Lage, dieses Alter zu stemmen und möchte nicht mehr länger warten, bis es so weit ist. Die Leute werden sagen, echt, hätte ich nicht gedacht, oder: hätte dich älter geschätzt. Danke! werde ich sagen, und mich freuen. Am 6. November 2017 ist es soweit. Wenn ich mir meinen Jahrestag nicht nochmal anders zusammen lüge. Ich hoffe, ihr erscheint zahlreich.