Am besten gefallen mir die Wörter in Versalien, rausgehoben aus den Sätzen, laut – wie die Headlines der Bild-Zeitung. Aufgeregt, wie Stichworte „zur Debatte“, in Talk-Shows, auf social media. Reihte man die Wörter auf Post-its aneinander, hätte man das Buch, ein Gedicht zum Skandal. Ein Mann hat die Geschichte aufgeschrieben, das war ein kritisches Thema in den Rezensionen. Ein berühmter Mann, der ja doch nur wieder einen Haufen Ego-Geld damit machen wird, der sich einfach nur einreihen kann, in den noise des Skandals, in die Selbstreferenzialität der Medien, zu denen er gehört, und seinen Ruhm vergrößert. Stimmt. Diese Ebene kriegt man nicht raus. Trotzdem bin ich froh, dass ein Mann die Geschichte aufgeschrieben hat, Frauen werden es auf ihre Weise tun. Der Mann dieser Geschichte stellt an keiner Stelle auch nur ansatzweise in Frage, dass da etwas passiert ist, was nicht geht. Im Gegenteil, er kapiert das sofort und die ganze Zeit. Er gewährt uns formal-inhaltlich brillant einen Einblick in Sprache und Struktur dieser abfälligen, misogynen Welt des Konzerns und seiner Macher. Hier ist keiner je über Mad Men rausgekommen, das Denken und Agieren wurde nur deutlich verfeinert. Die Bild-Zeitung/Julian Reichelt hat Frauen gefördert, Punkt. Der Kern dieser lässig, flüssig und mitreißend geschriebenen Geschichte ist, dass der Mann, der sie erlebt und aufschreibt, der Stuckrad-Barresche Ich-Erzähler, seine Freundschaft, oder genauer: seine Bromance zu dem aufkündigt, der die Sache immer weiter am Laufen hält: Döpfner. Nachdem er sehr lange neugierig, professionell, verständnisvoll, großzügig und unterm Strich dem Freund, dem Bro gegenüber loyal geblieben ist, findet er irgendwann endlich den Punkt ab dem es keinen Grund mehr gibt, mit der Beziehung weiterzumachen. Ist es nicht das, was wir brauchen? Männer, die anderen Männern sagen, ich kündige dir die Freundschaft? Es reicht, ich will nichts mit dir zu tun haben, nein, wir sind nicht gleich, nein, wir sind keine Bros, denn du bist kein Bro, sondern ein dummes Arschloch, ich muss dich nicht schonen, ich muss dir gegenüber nicht loyal sein, denn: I loathe you.
Der Ich-Erzähler gibt sich keine Mühe, sympathisch zu wirken. Er ist immer so dabei, kommt immer so mit, nimmt immer so mit, was geht: Pools in Promi-Hotels, Veranstaltungen mit Promi-Treff, Dinner in Promi-Restaurants. Er hält ganz betont nix von Moral, das haben ihm seine Christen-Eltern deutlich ausgetrieben, seine Aufgabe sieht er eben gerade darin, dabei zu sein. Gekauft zu sein, um viermal im Jahr zu schreiben, was er will. Das Privileg des Hofnarren, die Kohle stimmt. Er ist glücklicherweise auch nicht entsetzt, ihm wird auch nicht wirklich etwas klar im Sinne eines Entwicklungsromans. Das finde ich besonders angenehm. Nichts schlimmer als entsetzte und sich läuternde Figuren.
Auch die weibliche Hauptfigur, die ihn über die Praktiken im Hause Reichelt ins Vertrauen zieht, zeichnet er nicht als nette, sympathische Person. Er bildet ihren struggle ab, ihre Fragen, ihre Verunsicherung, ihre Wut. Aber niemand muss hier nett sein, um für uns Opfer werden zu können oder der Täterschaft zu entkommen.
Ein kühles Buch, im Grunde. Das einen spannenden Prozess erzählt, und die Grundlagen durchschaut. Letzteres gerät ironisch 90er manchmal etwas selbstgefällig.
Schön auch, dass er uns daran erinnert, dass die Bildzeitung Tod und Trauma produziert (Spielerfrau. Katharina Blum) und uns von der Fatzkenhaftigkeit erzählt, die ihr Vorstands-Personal an den Tag legt beim Bau von Gebäuden und Hand-Shakes mit Elon Musk. Da hat einer verstanden, wohin das Begehren geht.
Diese Zeitung ist brandgefährlich, das war sie schon immer.
Zur Ergänzung empfehle ich den Podcast Boys Club. Der ist von zwei Frauen.