Im Havelka
Ich lese die FAZ, die war noch frei.
Ein alter Mann kommt rein, verdächtig dunkle Haare, heller Leinenanzug, dunkles Hemd, Hut, den er abnimmt, er hats schwer mit dem Laufen, wackelt zu seinem Tisch – offenbar ein guter Bekannter hier, der Oberkellner grüßt und organisiert kaum merklich, aber auf besondere Weise (für großes Aufheben ist er zu cool).
Der Mann wackelt an meinem Tisch vorbei, Is a guade, sagt er, und meint die FAZ. Die Zürcher find i noch besser.
Alles klar.
Er setzt sich an einen Tisch hinter mich, bestellt zu essen und einen Braunen.
Maria, hör ich ihn weinerlich betteln, a Busserl! Er meint die Köchin, a Busserl, Maria, komm, nur a kloans, immer wieder sagt er das, in diesem jammerigen Ton. Oder willst eins aufn Mund haben, Maria?
Ich kann nicht glauben, dass es so ein Exemplar wirklich gibt.
Vor mir liest einer die Süddeutsche, hinter sich ein Oscar-Werner-Plakat (gibt grade ne Ausstellung über ihn), ein anderer hat das Laptop offen, scrollt auf der Berghain-Seite herum.
Das sind hier so die Gleichzeitigkeiten.
Der Alte bettelt noch immer, langsam wird mir schlecht davon. Es nützt nichts, Maria kommt nicht raus aus ihrer Küche. Der Chef persönlich mischt sich schließlich ein, fragt die Küchenhilfe aus Budapest, die Allerschönste, wie der Jammerer sie nennt, der sich nun auf sie verlagert, sicher auch, um Maria eins auszuwischen, ob sie dem Herrn nicht ein Busserl geben will.
Wie im Bordell hier.
Hervorragend wars heute, höre ich den Alten irgendwann sagen.
Er steht auf, um zu Gehen. Kommt wieder an meinem Tisch vorbei.
Wir haben uns nicht weiter kennen gelernt. sagt er.
Nein, sage ich. Das haben wir nicht.
Es war mir eine Freude, er nimmt meine Hand. Seine Nägel rillig, die Haut trocken: Auf Wiedersehn.
Auf Wiedersehen, sage ich.
Er schwankt davon.
Lang wirds ihn nicht mehr geben.