Juli 2025 –  Der japanische Mann

In der Nachbarschaft meiner Bürogemeinschaft gab es einen alten japanischen Mann. Er war schmal und hager. Jeden Tag ging er, auf seinen Rollator gestützt, an der Eingangstür unseres Ladenlokals vorbei. Diszipliniert, so kam es mir vor, um sich zu bewegen und ein paar Schritte bis mindestens zum Ende der Straße zu gehen. 

Für ein paar langsame Sekunden erschien er zu unterschiedlichen Tageszeiten im Fenster des Türrahmens, wo ich ihn von meinem Platz aus sehen konnte, verblasste im Weitergehen hinter dem milchigen Sichtschutz des Schaufensters, um schließlich aus meinem Sichtfeld zu verschwinden. 

Nie setzte er sich, wie viele andere Nachbarn auf das Bänkchen vor dem Fenster. 

Manchmal saß ich auf diesem Bänkchen und sah ihn vorbeikommen. Auf seinem Hin- oder Rückweg. Ich habe, typisch für mich, erst nach einer Weile angefangen ihn zu grüßen. Er nickte zurück. Mehr nicht. 

Ich habe den anderen in unserem Büro manchmal von ihm erzählt. Wer? Kenn ich nicht, haben sie gesagt. Niemand wusste, von wem ich spreche. Niemandem war er aufgefallen. Keiner hatte ihn je gesehen. Auch die nicht, die viel öfter da waren als ich, auch die nicht, die viel mehr mit der Nachbarschaft im Kontakt sind als ich. 

Der japanische Mann ist lange nicht mehr an unserem Büro vorbeigelaufen. Sehr lange.  So lange, dass ich davon ausgehe, dass er inzwischen seine Wohnung nicht mehr verlassen kann. Oder im Heim ist. Oder gestorben. 

Ich weiß nichts über ihn. Gar nichts. 

Ich kann niemanden nach ihm fragen. 

 

Ich vermisse ihn.