Juli 2023 – Barbie

Die heimliche Hauptfigur in Barbie ist Ken. Er ist die eigentlich interessante Figur in dieser Geschichte. Zusammen mit den anderen Kens, diesem sich selbst kommentierenden griechischen Chor, seiner GANG, der gesamten MANNSCHAFT, bringt er die Geschichte in den Film, die wir noch nicht kennen, die in die Zukunft weist, die Fragen aufmacht. Die andere Geschichte, die um Barbie, kennen wir – nicht zu Genüge, beileibe nicht, dazu sind noch immer zu viele überrascht oder wollen sie einfach partout nicht hören. Barbie erzählt vom klassischen Dilemma des Frauseins in a mans mans world und dem Versuch, sich in ihr zu emanzipieren – manchmal etwas zu sehr auf die Zwölf durchverbalisiert von der von America Ferrara gespielten Figur Gloria, manchmal etwas zu hollywoodig verkitscht und Matell getönt in der Mutter-Tochter-Beziehung in Barbies Begegnung mit ihrer Schöpferin. Vor allem aber erzählt der Film herrlich trocken und doch warm, mit großem Spaß an Popkultur, in der er sich verspielt und unbekümmert bewegt. In ADHsartiger Geschwindigkeit feuert Barbie Ideen, Gags und Punchlines ab, lässt Szenenbild und Kostüm Feste feiern und verliert trotz aller Blockbuster-Qualität nie den Indie-Ton mit Mumble-Core-Bezügen (Alter, was hier gequatscht wird!), wie man es von Greta Gerwig und Noah Baumbach erwartet hat. 

Auch der Plot bleibt Anti. Zwischendurch, wenn man dem Drehbuch bei der Arbeit zuschaut, stellt sich klassisch die Frage, wie kommen sie denn da wieder raus? Jedoch nicht, weil sie in einer Höhle stecken und das Wasser steigt, sondern weil das Buch einen argumentativen Punkt macht und dem Thema als nächstes einen weiteren Aspekt hinzufügen oder einen Vorschlag machen wird, wie dieses ganze gender-Dilemma denn nun zu sehen oder gar zu lösen sein könnte. Barbie bleibt komplex. 

Also zu Ken. Ken ist lost. Ken weiß nicht, was er soll, er weiß nicht, wozu er da ist. Niemand weiß es und Barbie nun ganz sicher nicht. Die ist ganz bei sich und in ihrer professionellen sisterhood zuhause. Ken ist der Mann in der Krise. Er definiert sich über eine Frau, für die er keine Rolle spielt, die ihn nicht braucht. Ken weiß nichts über sich, er hat keine Idee davon, wie er sein könnte, nicht, wie er sein möchte. Ryan Gosling spielt ihn in seiner ganzen anrührenden Bandbreite, wütend und verspielt, hilflos und depressiv, trotzig und gekränkt, selbstüberhöhend und größenwahnsinnig. Ken verliert sich in seinen Jungs-Wettbewerben, wird der Boss seiner Mannen, baut das dickste Haus am Platze und ist am Ende für Barbie, die längst alles ist und alles sein kann, doch immer nur: Just Ken. Aber Ken ist nicht einfach nur Ken, wie der Claim auf den Plakaten lautet, er hat ein größeres Problem. Ken ist die neue Frau. Er muss raus aus der Fremdbestimmung, er muss aufhören, sich über die Frau zu definieren, die ist längst über alle Berge. Er muss sich von den Zuschreibungen emanzipieren, die man ihm, die er sich auferlegt hat. 

Ken ist eine Leerstelle. Er ist eine Frage, die sich stellt. Eine Frage, die der Film zu seinem Ende hin stellt, aktuell und weitsichtig, an alle Kens da draußen. Wer seid ihr, wer seid ihr wirklich, tief in euerm Inneren, welche Idee habt ihr von euch, wie wollt ihr sein? Fangt an, über euch nachzudenken, konzentriert euch auf euch, bildet Musicalgruppen und macht euer Ding. Wie das geht, könnt bei uns abgucken, wir machen das seit Jahrhunderten.