Januar 2017 – Klinik

1 Der OP-Saal, in den ich nach dem Vorbereitungsraum, dem Vor-Vorbereitungsraum und dem Vor-Vor-Vorbereitungsraum, wo andere Namensband-Patienten liegen wie am Fließband, ist nagelneu. Pfleger Ralf, Typ „Ich spiel am Wochenende mit meiner Band rockige Musik in Vereinsheimen“, macht den Job seit dreißig Jahren und sticht trotzdem dreimal daneben als er mir einen Zugang legen soll. Er hat, glaube ich, Angst vor meinen feinen Venen in Kombination mit seinen Riesenpratzen, tut aber, als wär ich schuld. Seine Kollegin macht das besser. Und sagt die richtigen Sachen. z.B. als irgendjemand von den vielen Leuten um mich herum, die noch rasch den OP-Saal umbauen müssen bemerkt, dass ein Kabel fehlt, erklärt sie mir, damit sei nur das Computerkabel vom Laptop gemeint, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich bekomme ein Antibiotikum während ich die beiden riesigen OP-Lampen über mir betrachte, die in jedem Kinofilm zur Ausstattung dazugehören würde, in dem eine durch Aliens durchgeführte Operation an einem zu diesem Zweck entführten Humanoiden gezeigt werden soll. Ich bin eigentlich ganz ruhig, aber meine eiskalten, schweißnassen Hände und mein zitternder nackter Körper unterm OP-Kittel Größe XXL, sagen was anderes.

-Ich bekomme ein Antibiotikum. (Die Tiefkühlatmosphäre  hier ist keine Einbildung, und nicht nur dem Ambiente und dem niedrigen Angst-Blutdruck geschuldet, sondern ein Temperatur-Faktum, das die Bakterien abschrecken soll, erklärt die Schwester, die alles richtig macht).

-Ich bekomme ein Schmerzmittel.

-Ich bekomme ein Schlafmittel. (Das aufgrund der frühen Uhrzeit, sieben Uhr morgens, nicht nötig gewesen wäre, aber ich bekomme es eh nur theoretisch, denn wie immer bin ich schon beim Schmerzmittel hinüber.)

2 Als ich aufwache habe ich das Gefühl, seit Jahren nicht so tief geschlafen zu  haben. Was ich mitgebracht habe, aus diesem tiefen Schlaf, ist T.. Ich liege im Aufwachraum und weine zu meiner eigenen Überraschung.

3  Ich bin hier wegen einer Lappalie drin. Der Frau neben mir haben sie einen (gutartigen) Tumor in Größe eines Schweineschnitzels aus dem Brustkorb operiert. 4 Jahre lang ist sie zum Arzt gegangen, weil sie so schlecht Luft bekommen hat, weil sie sich nicht wohl gefühlt hat, weil sie gemerkt hat, dass irgendwas falsch war. Die sind schon genervt von dir, weil du immer kommst, hat ihr Mann gesagt. Aber wer auf einer Insel in der nord-ostdeutschen Pampa wohnt, der muss mit schlechter Versorgung rechnen.

Sie redet und redet und redet sogar noch, als ich mir die Zeitung direkt vor die Nase halte. Wenn sie telefoniert, stellt sie die Gesprächspartner auf Lautsprecher. Die zweite Frau im Zimmer redet auch gerne, wird aber immer von der ersten Frau dabei unterbrochen und überboten, ein Wettstreit. Nach kürzester Zeit weiß ich alles. Abhauen kann ich nicht, ich bin müde und erschöpft von der Narkose und kann mit dem Bein nicht auftreten. Wieso vergesse ich immer meine Kopfhörer?!

4  Also von Personalmangel merk ich nix.  Innerhalb von drei Tagen – Montag Voruntersuchung, Dienstag OP, Mittwoch Entlassung – habe ich mit gefühlt mindestens 50 Personen Kontakt.

Am ersten Tag. Patientenmanagement/Aufnahme (1 Person). Ich bekomme eine Akte, mit der ich ab sofort durchs Haus laufe, verschiedene Stellen abklappere (2 Personen / 1 Person / 1 Person), dort jeweils nach etwas Wartezeit Fragen gestellt bekomme, die in Formulare notiert werden, die  in meine dicker werdende Akte kommen.

Die Fragen werden an jeder Stelle, bei der ich vorstellig werde, wiederholt. Zwischendurch bekomme ich Blut abgenommen und leiste sehr viele juristisch und datenschutztechnisch relevanten Unterschriften.

Am nächsten Tag: Aufnahme im OP-Zentrum (1 Person), Vorbereitung und Transport (3 Personen). Warteraum (1 Person). Vorvorbereitungsraum (2 Personen) Hier komm ich auf den OP Tisch und werde festgeschnallt, keine Ahnung warum. Vorbereitungsraum (1 Person). (Wieder die gleichen Fragen, die Antworten auf dem aktuellsten Formular sind  jetzt, nach der vielen Durchschleiferei schlussendlich falsch notiert.) OP-Saal (3 bis 5 Personen), Aufwachraum (1 Person). Zimmer, nach OP bis zur Entlassung am nächsten Tag: 10 Personen, Schwestern und Ärzte). Achja, Essenslieferung: 2 Personen.

5 Das Krankenhaus ist eine große, logistische Supermaschine, durchevaluiert und hyperrationlisiert bis ins kleinste Detail. Da geht natürlich dauernd was schief. Das Essen z.B. kommt viel später, weil die Maschine, die es aufwärmt, nicht funktioniert und erst ersetzt werden muss. Und dann der menschliche Faktor. die eine Schwester teilt die falschen Tabletten aus. Die andere ist schlecht beim Verbandswechsel, aber sehr aufmerksam was Hygiene und Bequemlichkeit angeht. Die Visite als Inszenierung hat nichts von ihrer Lächerlichkeit eingebüßt. Die Hierarchien zwischen den Ärzten, zwischen den Schwestern und Ärzten, zwischen den Schwestern und Schwestern, quellen durch jede performative Pore. Alles in allem mal wieder ein hochinteressantes Abenteuer. Ich beneide und bewundere jeden, der dort arbeitet. Was würde ich drum geben, wenn ich so einen normalen crazy Job hätte.

6 Zuhause kocht T. mir Hühnersuppe. Ich verschlafe den halben Tag.