Februar 2021 – an der Haltestelle

Ich stehe an der Tramhaltestelle. Es ist kalt, ich trage eine Mütze, die Kapuze vom Pulli obendrüber, eine Stoffmaske im Gesicht, einen langen Mantel an und rede ehrlich gesagt vor mich hin. Muss ja keiner wissen, was ich so unter meiner Maske mache. Plötzlich spricht mich jemand von hinten an. Hi, entschuldige, – ich drehe mich um. Da steht ein Typ, vielleicht Anfang dreißig, im aktuell gebührenden Abstand, einen Mund-Nase-Schutz auf. Ich finde du siehst gut aus, sagt er. Ich muss beinahe lachen. Ich meine, woher will er das wissen, er hat mich von hinten gesehen (oder hat er mich von der anderen Straßenseite ausgecheckt?), ich bin von oben bis unten zugedeckt, so kurz vor Vollverschleierung. Du hast so schöne blonde Haare, sagt er. Er meint die splissigen, nach einem Lockdown-Lockerungs-Friseurbesuch schreienden Zipfel, die unter meiner Mütze hervorgucken. Oh, sage ich, und lächle verlegen ob der schief liegenden Gesamtsituation. Ich wollte dich nicht erschrecken, sagt er. Okay, sage ich, und nicke. Aber ich weiß jetzt auch nicht, was zu tun ist, er steht da, seine Augen über der Maske, ein heller Parka, auch von ihm ist nicht viel zu sehen, will ich mit ihm einen Kaffee trinken, nein, will ich mit ihm ein paar Meter Richtung nach Hause laufen, nein, er ist viel zu weit weg, viel zu jung, er macht mir Komplimente für was Äußerliches. Wirst du oft angesprochen, fragt er. Nein, sage ich wahrheitsgemäß, eigentlich nicht. Wie machen das denn die anderen Männer, fragt er. Und dabei klingt er für einen Moment so traurig und hilflos und einsam und irritiert, von all dem zwar jeweils nur ein bisschen, aber es reicht doch, um mich innerlich in die Knie gehen zu lassen, so sehr rührt mich das. Ich weiß so sehr, was er durchmacht, und ich kann ihm nicht helfen, ich kann nichts für ihn tun, ich weiß es doch auch nicht, denke ich, ich hab doch auch keine Ahnung wie es geht, wie es gehen soll. Kann das nicht einfach alles mal aufhören. Kann das nicht einfach alles mal anders sein. Ich ziehe den Stecker. Jetzt ist es mir doch ein bisschen unangenehm, sage ich zu ihm, denn das ist es,

aber ich danke dir für dein Kompliment.

Er trollt sich.