Der winzig kleine Strand an der Mulde. Urbanes Feeling, so mit der Stadtkulisse im Hintergrund, bisschen abhängen, bisschen kiffen und trinken. Einmal nackig rein in die Mulde. Die Dessauer leben ihre Flüsse nicht. Elbe und Mulde, so viel herrliches Wasser mitten in der Stadt und keine richtigen Zugänge, Strände, Badestellen. Keine Boote.
Später erzählt mir jemand, dass die Flüsse bei der Bevölkerung noch immer mit von der Industrie eingeleiteter Chemie assoziiert sind, man früher manchmal nur Schaum darauf gesehen hat und der Gestank durch die Stadt gezogen ist. Heute gelten Mulde und Elbe als sauber. Aber kann man der Sache trauen?
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Sehr viele sehr patente Frauen machen hier sehr patente Arbeit. Im Café, bei der Stadt, im sozialen Bereich, wahnsinn, was die rocken. Die können quatschen, denken, organisieren bis zum Burnout und sind dabei herzlich, ruppig – und manchmal zu dominant.
Sie arbeiten sich alle ab, an der Bürokratie, die alles ausbremst, aussitzt, was an Energie aus der Stadtgesellschaft kommt, an den Netzwerken, denen sie eigene entgegen zu setzen versuchen, an den Verteilungskämpfen, in die sie sich werfen, am System, das sie verschleißt, an den grundsätzlichen Motzereien, die hartnäckig bleiben, egal was man alles auf die Beine stellt und obwohl hier so viel Tolles passiert,
Immer wieder staune ich, was es hier alles gibt, wer hier alles lebt und sich wie einbringt. Immer wieder werde ich mit den eigenen Vorannahmen konfrontiert, die sich als falsch erweisen.
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Natürlich liegt es an meiner aktuellen Perspektive auf die Stadt, am Framing meines kuratierten Aufenthalts, aber ich habe noch nie so nah mitbekommen, wie eine Stadt und ihre Menschen sich in einer Demokratie organisieren.
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Im Hausflur begegnet mir eine Frau, Moment, sagt sie, und stutzt irritiert, geht’s jetzt hier durch oder wie? fragt sie. Ich frage zurück, wo sie hinwill, denn es ist hier wirklich etwas labyrinthisch, mit einem Zwischengang und einem Fahrradraum, dessen Tür man für einen weiteren Eingang zum Treppenhaus halten kann.
Sie entschuldigt sich, erzählt mir, dass sie eine Rücken OP hatte, sie immer noch ein bisschen verwirrt ist, wie schlimm die Schmerzen waren vorher, wie unerträglich, dass es nun, so langsam, besser wird. Ich erwähne kurz, dass ich das kenne, mit dem Rücken und den Schmerzen. Sie fragt mich, ob ich jetzt hier wohne? Ich erzähle, dass ich nur vier Wochen da bin und berichte kurz vom Projekt – Stadtentwicklung, Gruppe Freiwilliger, möglicherweise um zu bleiben. Sie nickt, irgendwie erfreut, wie alle, die hören, dass man sich für Dessau interessiert, gleichzeitig etwas verständnislos und distanziert. Warum genau finde ich nie heraus. Ist es: Hier ist doch eh nichts mehr zu retten oder Hier ist doch alles okay oder Wer seid ihr, dass ihr, wahrscheinlich Großstadt-Wessis, von außen die Stadt verbessern wollt (der Kolonialismus-Vorwurf, den ich von Freunden höre und selbst problematisch finde) oder Tss, da seid ihr nicht die ersten? Wie sich herausstellt wohnt sie direkt über mir, mit ihrem Mann. Wieder orientiert stapft sie die Treppe hoch.
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„Schmecken lassen!“ sagt der Mann am Wurststand als er mir die Wurst rüber reicht. Das ist nett, ich weiß.
Diese Promptheit oder Ruppigkeit in der Sprache, was ist das, herzliches Militär.
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Auf dem Flohmarkt eine Tupperbox. Darauf ein Indianer.
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Ein mittelaltes Ehepaar, das über drei Radfahrer motzt. Die fahren nicht auf dem Radweg, sondern auf der elend breiten Straße an ihnen vorbei.
Ach, herrlich, Kleinstadt, deine Probleme.
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Im Kartoffelhaus
Ein Mann isst seine Folienkartoffel
mit einer Umsicht für das Aufschieben der Alufolie und einer Hingabe an das Ablösen des dampfenden Kartoffelinneren von ihrer groben Schale
als habe er sich die ganze Woche darauf gefreut.
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Eine aufgedrehte Gruppe von Kids, vielleicht so zwölf, dreizehn? Neiiin, kräht einer der Jungs, die sind aus Japan! Wer gemeint ist, ist unklar, eine Band vielleicht, irgendwelche Leute, die sie gesehen haben? Ching chang chong macht er, um die Sache zu veranschaulichen, tänzelt mit erhobenen Armen herum und zieht sich die Augen zu Schlitzen.
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Zwei aus der Gruppe berichten, dass sie mit ihrem Baby in der Kinderklinik waren. Die Ärztin habe, um sie zu beruhigen, von ihrem eigenen Kind berichtet. Das sah auch einmal, als es schweren Durchfall hatte, aus wie ein Buchenwaldmaskottchen
Ich schaffe es beinahe nicht, das hier aufzuschreiben.