… Am nächsten Tag quer durch die Stadt zum ambulanten Chirurg. Ich brauche eine Krankenhauseinweisungsbescheinigung. längstes deutsches Wort ever. Sehr gut organisierter Durchgangsarzt, trotzdem wird mir schwummrig von den Gesprächen, die ich vom Wartezimmer aus mithöre, der Zehennagel hängt nur noch so dran; der Deckel von der Thunfischdose war zu scharf …
Am übernächsten Tag zur OP Vorbesprechung nach Marzahn. Erneut werde ich 8 Stunden in der Klinik sein.
Der Orthopäde bespricht die OP mit mir. Die Anästhesistin scheint mich vergessen zu haben. Der Orthopäde schickt mich deshalb schon mal zum Gipsen, weil ihm der Gips aus Bad Saarow nicht gefällt. Beim Gipsen begehe ich den Fehler auf meinen Arm zu schauen. Ich bitte die Schwester, mich hinlegen zu dürfen und um ein Glas Wasser, das völlig verschobene Handgelenk, der ganze Arm (Hämatom) sieht fürchterlich aus. Ich plaudere mich durch meine Angst, frage nach ihrer Ausbildung.
Als Nächstes muss ich in die Radiologie, um zu sehen, wie der Bruch aktuell steht. Strahlenbelastung in den letzten Jahren auch immer höher. Aber einer fragt. Auch dort vergisst man mich im Warteraum. Ich mache mich bemerkbar, frage bei der Radiologie-Anmeldung, ob man mich vergessen hat. Dort werde ich weggeschickt.
Ab und zu tritt ein junger MTA aus dem Maschinenraum in den Wartebereich, ruft Namen auf, die nicht meine sind oder unbeantwortet bleiben. Eine ältere Frau, schon wieder dement, liegt, immer wieder mal stöhnend, im Bett. Sie wäre meiner Einschätzung nach gar nicht in der Lage dazu, ihren Namen zu verstehen, noch zu antworten, wenn sie aufgerufen wird. Doch der Radiologieassistent kommt nicht auf die Idee, dass sie überhaupt jemand mit Namen sein könnte, sie ist ein Bett. Abgestellt von jemand, der schon wissen wird, was das soll. Falls sie morgen noch hier liegt, würde es mich nicht wundern, dann vielleicht auch tot, viel fehlt sowieso nicht mehr.
Irgendwann komme ich zurück an den Anfang des Warteprozesses, wo auch die Anästhesie sich an mich erinnert. Der OP-Termin, den ich bekomme, liegt an der Grenze der maximal erlaubten Zeit bis zur Operation eines solchen Bruchs. 14 Tage werde ich mit dem Gips herumlaufen, was die Zeit bis zur Knochenheilung – sechs Wochen – also auf insgesamt acht Wochen dehnt.
Am nächsten Tag habe ich eine Job-Besprechung. Es ist klar, dass ich niemandem bei der Firma oder der Redaktion von meinem gebrochenen Handgelenk erzählen kann, solange ich den Job nicht fest habe. Die würden mich sofort rauswerfen, zu hohes Risiko, der Zeitdruck auf dem Projekt ist groß, ist er immer. Ich halte den Arm beim Teams-Call unten, damit man den Gips nicht sieht.
Vorher ist alles gut gelaufen, die Produktionsfirma mochte den Pitch. Hat ihn weitergeleitet an die Redaktion. Nadelöhr 1, Check. Von der Redakteurin werde ich im Call gelobt, ich höre Dinge wie Wärme, feiner Humor, feine Feder. Aus irgendeinem Grund bin ich gerührt davon, weil ich das Gefühl habe, verstanden worden zu sein. „Umso mehr tut es mir leid …“ , setzt die Redakteurin an, und ich stürze, die dramatische Fallhöhe, die sie gebaut hat und auf die ich hereingefallen bin, zu hoch, tief hinunter „… dass wir den Stoff nicht machen können, vielleicht fällt ihnen ja noch was anderes ein.“
Na klar, ich schau mal. Zurück auf Los, zurück ins Ungewisse, was arbeiten und Geld verdienen angeht.
Ich mache alles mit rechts. Hose anziehen ist am Schwierigsten. Betten beziehen geht nicht. Spülen ist auch schwierig. Aber sonst komme ich erstaunlich gut klar.
Am Tag der OP – in der Zwischenzeit arbeite ich mit verstecktem Gipsarm und versuche, möglichst viel zu diktieren und mit einer Hand zu schreiben, um die linke nicht zu belasten – fahre ich morgens um fünf ins Krankenhaus. Ich habe Angst, Angst, dass die OP nicht gut verläuft, Angst vor den Schmerzen, den nicht wirkenden Medikamenten, dem Aufenthalt in der Klinik.
In der Vorbereitung zur OP ein Anästhesist, der irritiert ist, warum ich eine Vollnarkose bekomme, er hat sich auf was Lokales vorbereitet. Lokal, sicher nicht, was denken diese Heroes sich immer? Dass ich ihnen dabei zuhöre, wie sie meinen Arm öffnen, ihre Platten darin verlegen und alles schön festnieten? Der Anästhesist ist nett, keine Ahnung, warum die immer so nett sind, aber die Anästhesisten kommen mir vor wie die nettesten Ärzte, die es gibt. Den Operateur werde ich nicht sehen, ich werde vorher schon weg sein. Wieder versucht ein Pfleger mir einen Zugang zu legen, wie immer merke ich nach 10 Sekunden, ob es klappen wird oder nicht. Es klappt nicht. Er stochert herum, mehrfach, gleicht seine Unfähigkeit durch Laberei aus. Der Anästhesist erbarmt sich, schafft es aufs erste Mal, das Ding sitzt.
Als ich aufwache, habe ich starke Schmerzen im ganzen linken Arm. Es fühlt sich an wie direkt nach dem Bruch, all on fire, from finger to shoulder. Ich bin sehr unruhig, nervös, bewege die Beine hin und her (Opiate). Irgendein Arzt geht, irgendeine Ärztin kommt, sie schaut nach anderen, nicht nach mir. Ich spreche sie irgendwann an. Sage ihr, dass ich Schmerzen habe. Ein anderer Arzt kommt irgendwann, fragt mich wie stark die Schmerzen sind auf einer Skala von 1-10. Die Frage kenne ich schon. Acht, sage ich, und wenn Sie mir sagen, dass das normal ist, halte ich das aus. Nein, sagt er, das ist mir zu hoch. Ich erwähne wie immer die Sache mit den Opiaten, und er gibt mir andere Mittel, erst eins, dann später noch ein weiteres, von dem ich weich und ruhiger werde: Die Schmerzen sind da, der Arm ist da, aber beides ist weiter weg. Irgendwann werde ich mit dem Bett an anderen Betten vorbei, Box-Betten, von einem der Betten-Schieber in mein Zimmer geschoben. Ich war sehr lange im Aufwachraum. Ich finde es zu früh.
Die Schmerzen bleiben hartnäckig, lange. Neben mir eine Frau, 20 Jahre älter als ich, mit gebrochener Hüfte. Sie spricht. Und spricht. Und spricht und spricht. Ein Trigger für mich. Missbrauchs-Gefühle, ich kenne das, von meiner Mutter, meiner Kindheits- und Teenie-Freundin L. Auch am nächsten Tag hört sie nicht auf zu sprechen. Sie bekommt Besuch, mehrmals und erzählt bei jedem Besuch alles, was ich schon mehrfach gehört habe und schon ganz genau weiß, nochmal. Sie hat ihren Mann (erste Demenzansätze, guter Grund, ihn rumzukommandieren und zu demütigen) und ihren Sohn (du willst doch deine Mutti besuchen) ziemlich im Griff. Sie tut mir trotzdem leid. Ich kann nicht weg, nicht auf den Flur, mir ist schwindlig, übel, schwach. Mein Arm ist geschwollen und ich versteh das alles nicht. Müsste das nicht anders sein? Ist das normal? Ich bin enttäuscht von mir, dass ich da nicht schnell wieder fit rauslaufe.
Zu meiner Überraschung muss ich einen Tag länger bleiben, was ich sehr gut finde, denn aufstehen und gehen scheint nicht denkbar. Ich trage permanent Kopfhörer, trotzdem spricht die Frau die ganze Zeit, auch hier erfahre ich Anamnese Diagnose Perspektive. Ich wundere mich, wie wenig der Geriater zum Thema Versorgung zuhause im Anschluss weiß.
Morgens bei der Visite ein Auflauf von 15 Personen in weiß, die ineffektive Fragen stellen, nett sind, aber nicht besonders mitdenken, was hätte man nicht alles im Einzelgespräch schneller und sinnvoller besprechen können. Eine der ältesten und überholtesten Veranstaltung der Medizingeschichte in der man, so mein Eindruck, nichts herausfindet. Performanz. Einem der Ärzte – es ist der lustige Orthopäde, der mich damals zum Gipsen gebracht hat, die Abkürzung übers Traumazentrum genommen hat, was er den coolsten Ort von allen fand und ein bisschen angegeben hat, was hier so mit dem Heli reinkommt – fallen während des Gesprächs am Bett der Nachbarin im Stehen die Augen zu.
Ich gehe mit einem Klostuhl aufs Klo und habe nicht mal mehr ein Fünkchen Humor oder Neugier in mir. Das erschreckt mich am meisten. Ich soll die Finger bewegen, sagen die Ärzte, ich bewege, aber da bewegt sich nichts zurück, die Hand geschwollen, der Ellbogen und die Schulter tun weh, wahrscheinlich vom Aufprall, vom Hämatom.
Ich finde alleine heraus, dass man im Flur Tee holen kann.
Ich weine kein einziges Mal.
Am Tag der Entlassung mache ich mir Sorgen, weil mir schwindlig ist und übel und ich nicht weiß, ob ich den Nachhauseweg schon schaffe. Als die Schwester sehr kompetent den Gips entfernt, um die Wunde zu versorgen, sage ich ihr, dass ich nicht hinschauen werde. Obwohl ich im Bett liege, würde ich bestimmt nur wieder umkippen. Sie macht eine kleine Radioberichterstattung und sagt mir, wie gut alles aussieht, ich hab sie so gern.
Ich habe keine Filter, keine Kraft. Ich bin unleidlich, wütend, verletzt, auf allen Ebenen. Dabei geben sich alle so viel Mühe.
Auch zu Hause wird es nicht besser. Als ich mich hinlege, fängt der Lärm beim Nachbarn oben an, noch so eine Belastung, der letzten Wochen, Monate, die mir entfallen war. So also, denke ich, endet das Jahr und beginnt das neue. Was, wenn die Hand nicht mehr wird, wenn das Handgelenk nicht mehr so belastbar ist wie vorher, was ist mit Sport, mit Pilates, etwas, dass ich dringend brauche, um stabil zu bleiben, um den Rücken bei Laune zu halten, was ist mit Schreiben, was ist mit meinem rechten Arm, nun doppelt belastet und sich sowieso schon in Richtung Sehnenscheidenentzündung orientierend. Was, wenn ich diesen Winter noch mal hinfalle, ausrutsche auf nassen Blättern, auf Eis. Was, wenn das nun die nächsten Jahre werden, im Grunde ja gar keine Frage mehr, mit Brüchen im Krankenhaus landen. Wie umgehen mit Bewegung, mit Mut, mit Reisen, mit Risiko. Ich habe mir nicht den Rücken gebrochen oder ein Bein, auch kein zweites Handgelenk. Ich versuche froh, darüber zu sein, über alles, was gut ist, was sehr gut ist, über die Qualität der OP, über kompetente Schwestern, Physiotherapeutinnen, Durchgangsärzte, nette Worte, über Menschen um mich herum, die bereit sind, mir zu helfen und sich große Mühe zu geben im Irrsinn einen guten Weg zu finden.
Es gelingt mir nicht, das nach oben zu ziehen. Auch das ein Scheitern. Ich mag mich nicht, mag das Misstrauen in mir nicht, den anderen und mir selbst gegenüber, gegenüber dem Sturz und seiner Bedeutung. Die Suche nach der Bedeutung.
Die distale Radiusfraktur ist der häufigste Bruch im Erwachsenenalter.