Ich lese Leben Schreiben Atmen von Doris Dörrie, mein Buchtrack zur Reise, erstaunlich passend, weil sie so ein Japan-Fan ist, erstaunlich anrührend, weil es um Verlust geht und sie mich damit trifft.
Ich frage mich, warum ich sie immer so beiseite geschoben habe, man könnte auch sagen, sie überheblich ignoriert habe. Vielleicht wegen ihres München-Appeals, das aus der Berliner Perspektive ja immer schön oberflächlich mit oberflächlich assoziiert ist, konservativ, kommerziell; vielleicht wegen ihrer auffallenden Brille, die für mich immer auf eine unangenehme, generationell verortbare, sprich irgendwann veraltete Art war, „Kunst“ und „ich bin ne ganz Verrückte“ zu schreien, wie so ein roter Schal. Vielleicht wegen ihrer Filme, die mir immer seicht vorkamen oder zu sehr auf die Zwölf, ohne dass ich natürlich je mehr drei ihrer Arbeiten gesehen zu haben, nicht einmal Hanami mit Wepper. Vielleicht wegen ihres Hangs zum Spirituellen, das mich an die Frauenbewegung der 80er erinnert und an die Regale mit „Frauenliteratur“, die damals in jeder Buchhandlung standen und in denen direkt neben dem „Emanzipationsbuch“ der Tarot-Ratgeber einsortiert wurde. Möglicherweise ist an all dem was dran. Dennoch schäme ich mich. Denn unterm Strich ist Dörrie doch ne Sis! Eine dieser älteren Schwestern, ohne die wir nicht wären, wo wir sind. Eine die mutig war, ohne ein Macho zu sein, eine die sich mit bewundernswertem Selbstverständnis und erstaunlicher Kraft in der verdammten mens mens world des Films und des Schreibens bewegt hat und als nun ältere Frau noch immer bewegt. Eine, die ganz anders als ich feige Kuh, um die Welt gereist ist, mit einer solchen Lebenslust, Offenheit, Neugier und einer Fähigkeit zu Freundschaft und Liebe, dass ich mir (sagen wir beinahe) wünsche, ich hätte mich in München an der Filmhochschule beworben und wäre in den Genuss ihres sicher hervorragenden, zugewandten Unterrichts gekommen. Eine Mentorinnen-Figur, wie ich sie mir immer vergeblich gewünscht habe, die mich gesehen und verstanden und unterstützt hätte, wäre sie vielleicht gewesen. Aber wer weiß, vielleicht hätten wir uns ja auch NULL verstanden.
Ihr Buch jedenfalls war so, dass ich all das gedacht habe und noch dazu eine Menge anderes.