Fahrradläden sind wie Plattenläden. Orte reiner Männerkultur. Ihre Türpolitik ist zwar subtiler, tolerant runtergeschraubter, aber im Grunde sind sie die türkisch-arabischen Neonlicht-Kulturvereine des deutschen, weißen, schwarz gekleideten Mannes mittleren Alters.
Ich brauche einen Ständer. Ich gehe zum Fahrradladen und nehme mir vor, genau diesen Satz nicht zu sagen, um keinen blöden Spruch zu provozieren.
Er muss noch ne Bremse fertig machen, dann kommt er raus. Ich warte in der Sonne neben meinem Rad.
Er kommt, stellt sich hin, guckt, mit seinen tätowierten Waden. Wenn ich nur wüsste, was er da sieht. Ich sehe ein 80er grün-weißes Fahrrad mit so einer extra Querstange, die ich total cool finde. Die Schutzbleche könnten auch weiß sein, dann wärs perfekt. Und ein bequemer Sattel in weiß wäre ein Traum. Aber sowas gibt es nicht. (Wieso gibt es sowas nicht?) Er sieht was ganz anderes. wie ein Terminators oder ein Hubot scannt er das Rad und sieht Maschinenteile, Naben, Bremsen, Ketten oder keine Ahnung. So stehen wir nebeneinander und gucken jeder was anderes. Er jedenfalls, zum Rad: Nee, geht nicht. Ich, zum Rad: Nee? Geht nicht? Warum? Er, zum Rad: Da ist was abgebrochen. Ich, zum Rad: Wie abgebrochen? Er, zu mir: Na, abgebrochen. Abgebrochen heißt, da war vorher was da, was jetzt nicht mehr da ist. Abgebrochen halt.
Also Herrgott, ehrlich, ich meine, was soll das sein? Soll das witzig sein, halten die das für attraktiv? Denken die, man findet sie gut, wenn sie sowas sagen? Ist ihnen das egal, weil sie sich selber so supergeil finden, dass sie niemand anderen mehr brauchen, der sie supergeil findet? Zugegeben: Wie abgebrochen? ist ne unpräzise, dumme Frage. Aber: Nee, geht nich, da ist was abgebrochen, erklärt einen ja wohl schon von vorne herein für unwertes Leben. Er darf das, ich nicht? Ich, zu ihm, giftiger Pinscher: Ja, was denn abgebrochen?, ne Platte oder was? Er: Ja, ne Platte. Die musste ranschweißen. Das darfste aber nicht, weil du den Rahmen, ich sach mal, instabil machst. Und wenn, biste mindestens bei 100 Euro. – : Verbrechen, Geld, Gefahr! Staatsmacht, Illegalität, Untergrund! Worüber reden wir?! Ich bereue, dass ich nicht einfach gesagt habe: Ich will einen Ständer.
Ich rufe C. an, beklage mich. Er: Bullshit. Die Menschheit ist zum Mond geflogen. Hier geht’s um einen Fahrradständer. Geh in die Lychenerstraße, die machen das!
Ich geh in die Lychenerstraße – den Satz mit dem Mond halte ich für alle Fälle parat, aktualisiere ihn noch durch den konkreten Fall des deutschen Astronauten der vor ein paar tagen die ISS-Raumstation betreten hat – aber vor Ort ist plötzlich alles kein Problem mehr. Korb unter meinem Hintern weg, Bremse ohne Sehnenscheidenentzündung, Ständer: Die machen das! Morgen hol ichs ab.
Dann flieg ich zum Mond.