Dezember 2019 – Notaufnahme

Ein junger Mann hat einen tiefen Schnitt im Finger. Die Verletzung muss gespült werden. Der junge Pfleger fragt seine ältere Kollegin, ob das jetzt schon angesagt ist, da ist ja noch so viel Blut drin. Obwohl ich nichts sehe, hinter dem grünen Vorhang, wird mir schlecht.

Später eine Frau, ich höre nur ihre Stimme, offensichtlich sifft ihre Wunde, immer wieder muss irgendein Beutel gewechselt werden, damit die ganze Suppe ablaufen kann. Wie kann man das alles jeden Tag aushalten?

Drei Feuerwehrleute und drei Polizisten bringen einen der üblichen Pappenheimer. Ein Mann, der sich am Rollator festhält, betrunken, hat herumkrakeelt. Die Polizisten geduldig, sie dürfen zuerst gehen. Eine Ärztin kommt, holt den Mann in ein Sprechzimmer. Hinter der Tür höre ich ihn laut schimpfen, aggressiv, es geht um Alkohol. Ich mache mir Sorgen um die Ärztin, was, wenn er sie angreift. Ein anderer Mann, später, wird von der Schwester angesprochen die seine Vitalparameter messen soll: Haben sie Alkohol getrunken? Jawoll! brüllt er sie an als wär sie sein Oberleutnant.

Die Assistenzärztin untersucht mich, holt später vorsichtshalber noch eine erfahrenere Kollegin dazu. Die lässt sie nicht zu Wort kommen. Eine dynamisch resolute Krankenschwester taucht auf, mischt dynamisch resolut das Zimmer auf, sie erinnert mich an J, sie ist lieb, zugewandt, aber ein Bully, die Assistenzärztin hats schon wieder schwer.

Ein Assistenzarzt kommt herein, reißt den grünen Schamvorhang beiseite, greift das Gerät neben meinem Bett: Ich brauch das! Und: Habt ihr hier mal Platz? Er meint mich. Er rollt mit dem Rad des Gerätes über dessen dickes Kabel, es scheppert. Als der junge Pfleger von nebenan sagt, ich mache noch diese Naht hier, sagt der Assistenzarzt, ich mach dir keine Naht, ich bin Chirurg. Nein nein, stell der Pfleger richtig, ich meine, ich mache noch diese Naht hier, dann wird der Platz frei, der Chirurg ist schon zur Tür raus.

Die Assistenzärztin sucht in Schubladen, moniert, das nichts an seinem Platz ist, keine Pinzette, keine Schere. Die resolute Krankenschwester: Jetzt mach mal keinen Stress, unterbricht den Gips, den sie mir anlegt, holt eine sterile Kiste aus dem Schrank, öffnet sie und hält der Assistenzärztin das Besteck entgegen, Gesichtsausdruck: Damit du aufhörst zu quengeln.

Eine junge Frau kommt mit ihrem Freund, sie hat seit Stunden Nasenbluten, es hört einfach nicht auf, sie ist in Panik, wär ich auch, als fließe einem das Gehirn raus. Eine andere Frau hat schlimmen Husten, es hört sich nach Lungenentzündung an, ist nur meine bescheidene Meinung als Laie, ich habe Angst mich anzustecken. Eine ältere Frau mit Tüten. Im Urban wollte sie nicht bleiben, jetzt ist sie hier, sie schläft auf dem Stuhl, es sieht aus als wäre sie deswegen gekommen, um zu schlafen.

Wie unterschiedlich die Menschen sind, wenn sie leiden, viele von ihnen unerträglich. Wie sie ihre unbescheidenen Signale senden. Oder so tun als wäre gar nichts. Oder anfangen zu heulen, so wie ich, wenn man ihnen sagt, dass der Arm laut Radiologie gebrochen ist und dann so etwas Lächerliches sagen wie: Das ist eine Katastrophe. Das bedeutet ich kann nicht arbeiten.

Eine Frau Anfang 70, im Rollstuhl, ich halte sie für eine Alkoholikerin, eventuell crazy. Später erfahre ich, sie ist Diabetikerin, ihr Wert liegt bei 40, totaler Unterzucker. Sie sieht meinen Gipsarm, fragt: was haben Sie denn gemacht? Ich erzähle es ihr, sie: ach, wissen Sie, der Sänger von T-Rex ist auf einem Kirschkern ausgerutscht und war sofort tot. 

6 Stunden später komme ich raus. Als erstes gehe ich einkaufen. Morgen ist Silvester. Und es gibt verdammt nochmal Toast Hawai wie geplant, kapiert?! Mit meinem Gipsarm an der Kasse bei Rewe, einarmig räume ich die Sachen ein. Ich zur Kassiererin, weils so lange dauert: Hab mir pünktlich zum neuen Jahr den Arm gebrochen. Kassiererin: Na passt doch.

Ach, Berlin.

Frohes, neues