Seit Köln HBF – natürlich schon zuvor, doch jetzt, wo zur eh schon komplexen gender-Gemengelage auch noch die Ebene des Rassismus hinzugekommen ist, noch weit mehr – stecken Männer in einem Dilemma, um das sie nicht zu beneiden sind.
Nehmen wir an, ein Mann beobachtet in der U-Bahn, dort passieren diese Dinge gern, wie eine Gruppe Männer, jung, mit Migrationshintergrund, Frauen belästigen. Sagen wir: verbal belästigen. Blöde Sprüche, dummes Glotzen, lautes Lachen, Pfeifen, Schnalzen, das ganze übliche, übergriffige, (noch) nicht physische Repertoire des Belästigens, das sich in Sekundenschnelle atmosphärisch unangenehm über den ganzen Waggon ausbreitet und alle in Befangenheit erstarren oder unbeteiligt und taub tun lässt, über und unter ihren Kopfhörern, als wäre plötzlich jemand eingestiegen, der Heil Hitler ruft.
In dieser Situation muss der ANDERE MANN,
der höflich, zuvorkommend, gar solidarisch sein möchte,
WEIL er Freundin, Frau, Freundinnen, Mutter, Tochter, Schwester hat, und diese als Menschen und Gegenüber erlebt und begreift, weil er nicht zu denen gehören will, die Frauen etwas antun, generell nicht, aber schon gar nicht auf der Ebene sexueller Gewalt,
WEIL er nicht teilnehmen möchte an ihrer Sexualisierung, ihrer Reduzierung auf ihr Geschlecht, weil er sie nicht objektiviert und ausgebeutet sehen möchte, ohne dass sie sich – zumindest soweit man im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse davon sprechen kann – selbstbestimmt und selbstbewusst dafür entschieden haben und/oder dafür bezahlen lassen, wie zum Beispiel im Porno, den er auch mal schaut, oder im Puff, in den er auch mal geht,
WEIL er den Frauen in einer Situation, die er empathisch nachvollziehen kann, zur Seite stehen möchte, eingreifen möchte, sie nicht allein lassen möchte – denn diesen Anspruch hat er an sich, als Mensch und als Mann, das gebietet, so findet er einfach, das allgemein menschliche, nicht nur weiblich-männliche Miteinander, landläufig auch der Anstand genannt –
in dieser Situation jedenfalls muss der ANDERE MANN
erstmal abwarten. Und sehen, wie die Sache sich entwickelt.
ABZUWARTEN bleibt nämlich, ob, zum einen,
anwesende, nicht direkt von der Belästigung betroffene Frauen aktiv werden und eingreifen – was eine fast optimale Entwicklung der Situation darstellen würde, erhebt sie die gesamte Situation doch augenblicklich zu einem Diskurs, zu etwas Gesamtweiblichem, zum Solidaritätsthema und schafft einen Gegen-Raum, in dem Frauen ihre Sache gemeinsam in die Hand nehmen,
ABZUWARTEN bleibt zum anderen, ob die Frau sich überhaupt belästigt fühlt, oder womöglich geschmeichelt (denn sowas gibts, und auch wenn davon nicht viel zu halten ist, wäre dies nicht der Moment, in eine Diskussion darüber einzusteigen), eventuell also positiv auf die Belästigung eingeht, so dass der ANDERE MANN sie mit einem beherzten Eingreifen in die Situation ihrer selbstbestimmten Sexualität, ihres lustvollen Vergnügens berauben würde,
ABZUWARTEN bleibt vor allem aber auch, und davon muss vom ANDEREN MANN schon aus feministischen Gründen ausgegangen werden, ob die Frau sich nicht prima selbst gegen die BEDROHUNGS-MÄNNER verteidigen kann, was sein Eingreifen zu einem paternalistischen Verhalten machen könnte, zu einem Verhalten, das davon ausgeht, dass Frauen sich weder verbal noch physisch wehren können, Opfer sind, und auf die Hilfe des Mannes angewiesen sind, der sich hiermit womöglich selbst zu Held und Retter stilisieren möchte, um seine identitäre Männlichkeit für sich aufzuwerten oder womöglich sogar gegenüber den belästigten Frauen zur Geltung und in Anschlag zu bringen.
JEDOCH, die Sache des Belästigens ist ja schon von vorneherein ein gender-Ding und trägt deshalb in sich immer schon eine Gerichtetheit, und zwar eine Gerichtetheit nicht nur vom Mann zur Frau, sondern auch eine von den BEDROHUNGS-MÄNNERN auf den ANDEREN MANN, eine innere Ansprache findet da statt, eine indirekte Frage wird da gestellt, eine Provokation gesetzt, eine Forderung aufgestellt, eine Annahme getroffen, bist du einer von uns, du bist doch einer von uns, das hier ist das männliche Normverhalten, und wir gehen mal davon aus, dass du diesem entsprichst, dich loyal verhältst, mit uns, denn du bist einer von uns, ein BEDROHUNGS-MANN wie jeder andere, oder? Oder?? …
und hat nun, als wäre das mit dem gender-Diskurs nicht alles schon schwierig genug, auch noch den ganzen Rassismus an der Backe. Denn er trifft ja auf eine Gruppe Männer, von der er aufgrund von Äußerlichkeiten annehmen kann, dass sie einer anderen, höchstwahrscheinlich islamisch geprägten Kultur entstammen, in der die Welt der Männer weit weg ist von der der Frauen, in der sie einen Alltag kennen und leben, in dem Frauen keine figurbetonte Kleidung tragen, in der Frauen, ihre Körper und ihre Lust daran, nicht in Erscheinung treten. Er erlebt diese Männer – denen er Verständnis und Solidarität entgegen bringt, die er als tendenziell ausgegrenzte, vom System zur Chancenlosigkeit verdammte Existenzen begreift, die hier, in diesem Land, mit ihren höchstwahrscheinlich von Migration, von Flucht geprägten Biografien, nur geduldet sind, zur Stumpfheit, zum Warten und Vergehen verdammt – als bedrohlich.
So sitzt er also in der U-Bahn, der ANDERE MANN, konfrontiert mit der hochgradig komplexen Situation der Belästigung, und was soll er jetzt tun, der ANDERE MANN? Was? Und mit welcher Geste?Soll er sich zu den Frauen stellen, neben sie oder vor sie? Soll er die Klappe halten und sitzen bleiben und den Diskurs laufen lassen wie er eben laufen wird, sind ja alles erwachsene Menschen mit ihren eigenen Entscheidungen, noch ist niemand verletzt, oder?, keine Opfer zu verzeichnen? Soll er die Polizei rufen, die Sache ins Öffentlich-Institutionelle auslagern? Soll er den Bedrohungs-Männern entgegen treten und sagen: Sowas machen wir hier nicht, und damit paternalistisch, kolonialistisch, didaktisch und eventuell zumindest diskutierenswert respektlos gegenüber ihrer Kultur auftreten oder den Anschein erwecken, er verteidige „die deutsche Frau“, seine deutsche Frau? Soll er ihnen eine reinhauen? Oder soll er sich an die seltsam altmodisch wirkende, west- oder gar nur nordeuropäisch geprägte, an die CSU und Mutti erinnernde, zweifelhaft moralische und unpräzise Kategorien des Anstands oder des Allgemeinmenschlichen halten, die da sagen, so geht’s nicht, da muss jetzt mal einer was sagen, hier in der U-bahn, und zwar auch und am besten bitte
ein anderer Mann?