August 2014 – Gentri-Falle

Die Gentrifizierung, im Volksmund liebevoll Gentri genannt, lässt sich nicht mehr nur in Vierteln oder an Straßenzügen beobachten, sondern auch in den Shops selbst: Intrinsische Gentrifizierung – so nenn ich dsa!

Gestern bei District Mo. Vor kurzem erst (halbes Jahr, Jahr) haben sie eröffnet. Am Anfang immer schön leer, immer schön freundlich, tolles Essen zu korrekten Preisen.
Lage und Style allerdings vom ersten Moment an mittig kalkulkiert und so kams dann auch wies kommen sollte: Man konnte zusehen – Kamera hinstellen und Zeitraffer drauf – wie die Blume der Gentrifizierung sich entfaltete. Wie der Laden immer voller wurde, immer früher immer voller wurde, wie die Tische ab halb 8 immer öfter Reservierungsschilder bekamen, dann schon ab 6. Wie der Burger ein Euro mehr kostete, dafür aber im Durchmesser 1 cm kleiner wurde, die Süßkartoffeln weniger wurden, die Soße gleichzeitig reduzierter. Wie die Kellner einen Oberkellner bekamen, wie die Reservierungschilder von den Unterkellnern schon ab halb 6 flächendeckend für alle Tische draußen aufgestellt wurden, wie der Oberkellner die Unterkellner immer schlechter behandelte und die Gäste schließlich auch. (Sitz! Platz! Iss! Geh!).
Einhellige Meinung jetzt: da kannste nicht mehr hingehen. Ohne dich zu ärgern. So war’s zum Beispiel auch beim Transit.

I. neulich, zeigt mir in Neukölln wo eine Freundin von ihr wohnt. Ich: Also hier wärs mir aber doch zu krass. Eine Straße weiter, ich: ah, hier merkt man jetzt schon, wies anders wird.
Sie: jaja, ab hier ist schon gentrifziert. Damn it. So ist das. Ein bisschen Gentri ist gut, zu viel ist zu viel und in Nullkommanix ist das Viertel aus der Balance. Und so reden wir alle diesen Müll des modernen jungen akademisch gebildeten Großstadtmenschen. Und wenn ich mir mich anhöre, dann ist es doch unterm Strich das Gleiche, was Eltern und Nazis sagen: Hier wohnen zu viele Türken und Araber, hier ist es gefährlich, hier bist du zu sehr unter anderesgleichen. Nur ich sags nicht, weil ich ja politisch korrekt bin. Aber Fakt ist: Ich will nicht zwischen Frauenunterdrückung, Ehrbegriff und kriminellen Machenschaften leben. Ich will keine Glücksspiellokale, Kinder, wegen denen ich das Jugendamt rufen muss, Männer, die auf arabisch anzügliche Bemerkungen machen und Frauen, die mich nicht anschauen. Ich will Cafes und kleine Läden, ich will da sein, wo Leute sind wie ich und dann gerne noch eine vertretbare Zahl exotisch erträglich Anderer, die mir das Gefühl geben, tolerant zu sein, cool zu sein und in einer offenen Weltstadt zu leben. Die für meine innere Aufwertung sorgen. So siehts aus. Schämen sollte man sich. Alles nicht neu, aber immer wieder: Was soll man machen? Wie soll man sich zu sich, seinem eigenen inneren Rassistenschwein, seinem Ego, das eine gute Wohnlage verdient und der hochkomplexen, globalen Gesamtsache verhalten? Muss man da hinziehen, wo man sich nicht wohlfühlt? Muss man Pionier sein? (Mir fällt Jonathan Lethems Motherless Brooklyn ein, seine Mutter zieht mit ihm und seinem Dad in ein schwarzes Viertel in den 70er Jahren, weil sie findet, dass ihr weißes Kind von Anfang an lernen soll, dass das alles kein Problem ist. Anders, ich weiß, aber irgendwie fällts mir ein).
Neulich hab ich mal gelernt, dass man in den USA auf den Websiten der Immobilien-Makler zusammen mit den angebotenen Miet- und Eigentumswohnungen auch direkt die Kriminalitätsstatistiken, Einkommensverhältnisse und Kinderschänderrate der neighbourhoods abrufen kann.
Vielleicht sollte man auch einfach nie mehr darüber reden? Das Unwort des Jahrzehnts, Gentrifizierung nie mehr in den Mund nehmen? Einfach nicht mehr begründen, warum es einem irgendwo gefällt oder nicht gefällt? Es sind die Nuancen in den Entscheidungen mit denen jeder selber fertig werden muss. Dass es im Endeffekt um was Politisches geht, ist klar, macht einen aber nicht gerade handlungsfähig.