Wetter nich so doll, nehm ich mal ne Tram. Eine alte Frau fällt mir auf, die wie ich auf dem Gleis wartet. Sie sitzt auf einer der Bänke, stützt sich, ihr Körper ist schon leicht gebeugt, auf einen Rollator. Sie ist von oben bis unten schwarz gekleidet, trägt einen langen Rock und hat eines dieser Topfhütchen auf, darunter kommen ihre schlohweißen Haare im Bob zum Vorschein. Sie ist geschminkt, die Lippen rot.
Sie steigt in die Tram ein, fährt zwei Stationen, dann sehe ich sie aussteigen.
Am nächsten Tag sitze ich in einer anderen Tram. Da ist sie wieder, ich sehe sie vom Fenster aus. Genau wie gestern ist sie schwarz gekleidet, zurecht gemacht, und erklimmt, Rollator vorweg, vom Gleis her die Tram. Eine Station später steige ich aus, gehe auf dem Gleis die Tram entlang und halte Ausschau nach ihr, da sehe ich sie weiter hinten sitzen und hinausschauen,
Ein paar Stunden später stehe ich nach einem langen Spaziergang am Zürichsee an einem großen Platz, einem Knotenpunkt fürs Umsteigen. Auf der anderen Gleisseite entdecke ich sie wieder – sie steigt gerade in eine Tram. Jetzt kapier ichs endlich. Das ist ihr Hobby! Den ganzen Tag fährt die mit der Tram, zwei Stationen hier, drei Stationen dort, guckt raus, kommt voran, hält sich fit, und sieht was von Zürich. Wahrscheinlich kennt sie hier jeder. Vor allem jeder Tramfahrer. Eine Zürcher Pappenheimerin sozusagen.
Ich glaube, das mach ich auch, wenn ich alt bin.