Heute in der Ubahn. Die Bahn fährt am Bahnhof Alexanderplatz los und bleibt noch am Gleis wieder stehen. Und steht. Steht. Uuund: steht.
Eine Frau wird nervös, sie versucht die Tür zu öffnen. Geht nicht. Jetzt wird sie noch nervöser, redet vor sich hin, Maaannn. Sie steckt mich an, ich lass mich nicht anstecken.
Keine Durchsage. Der Zug steht. Die Türen gehen noch immer nicht auf.
Ich setze mich, nehme mein Handy, das beste Mittel, um mich zu beruhigen: Berichterstattungen und Analysen zur desaströsen Weltlage lesen. Ich atme ruhig, ich muss mich konzentrieren, nicht an die verschlossenen Türen zu denken, keine Panikattacke zu bekommen.
Irgendwann läuft der Fahrer die Ubahnwagen entlang, zwei Männer kommen hinzu mit BVG-Westen, alles ist vollkommen unklar, Schaden am Zug, jemand ausgeflippt, Warten auf die Polizei, jemand auf den Schienen, what the fuck is Hölle los?
Als der Fahrer und die beiden Westen zurückkommen, stehe ich auf und klopfe an die Scheibe der Tür, es geht so schnell, dass ich es erst später realisiere. Ich drücke demonstrativ dreimal laut die Türhebel runter: Lassen Sie uns mal raus oder sagen uns wenigstens mal was los ist? Der Fahrer guckt nur böse, da hat man Schwierigkeiten und dann wird man auch noch doof angemacht, die Westen sagen auch nichts. Warum?
Inzwischen sind wir seit zehn Minuten hier drin und können nicht aussteigen. Eine ganze elend lange Bahn voll mit Menschen, die eingesperrt sind. Was, wenn ich mich anders entscheiden will, statt Bahn zu fahren, lieber laufen möchte, weil ich es eilig habe, lieber eine andere Route nehmen will, warum hat dieses Arschloch von Fahrer nicht die Türen freigegeben, warum hat er nichts gesagt, gar nichts. Ist was so Schlimmes passiert, dass man nicht darüber reden kann. Um niemanden zu beunruhigen?!
Ich schaue zurück aufs Handy, lese den Artikel weiter, zwinge mich, nicht herum zu daddeln, herum zu scrollen. Satz für Satz. Vielleicht gehen die Türen gar nicht auf, vielleicht hat er sie nicht nicht freigegeben, sondern sie gehen nicht auf, weil die Elektrik spinnt. Warum hat er den Zug runtergefahren und dann wieder hoch. Und trotzdem nicht die Türen freigegeben.
Die nervöse Frau hat ihren Kopf auf ihre Unterarme gelegt. Ich weiß, wies ihr geht, trotzdem, hör auf damit, du Panikkuh, du steckst mich an, reiß dich zusammen. Sie ist groß und kräftig, ihre Unterarme liegen auf dem Plexiglas neben der Tür, da komm ich nicht mal hin, jedenfalls nicht mit den Unterarmen. Eine andere Frau erklärt, mehr sich als den anderen, das dürfen die nicht, die Türen aufmachen, aus Sicherheitsgründen. Als wären wir hier drin in Sicherheit. Asl hätte dieses Arschloch von Fahrer auch nur eine sekunde an das Vieh in seinen Waggons gedacht. Wie geht es den anderen in den anderen Wagen, wir haben Glück, dass wir nur die nervöse Frau haben. Und mich. In anderen Wagen siehts vielleicht schon anders aus, da ist vielleicht schon einer dabei, die Tür aufzubrechen, das Fenster mit dem Nothammer einzuschlagen, die Notbremse zu ziehen, die Polizei zu rufen oder was könnte man sonst noch machen.
Die eine Weste bleibt jetzt näher an unserem Fenster stehen, guckt pseudo-checkermäßig die Wagenreihe entlang nach links, die Wagen entlang nach rechts, warum bin ich nicht in den vordersten eingestiegen, dann könnte ich jetzt gegen die Fahrertür klopfen, was rufen, was fragen. Das könnte meine OCD-Macke werden, immer vorne einsteigen. Die Weste guckt zu uns rein, zu mir, die gemotzt hat, der fährt gleich weiter, sagt er. Leck mich, denke ich, klammere aber meinen Blick einen Moment lang an seinem Gesicht fest, seinem unsicheren Lächeln, seinem uns Sicherheit vermitteln wollenden Blick. Das Handy. Ein vertrauter Ort, voller heimeliger Katastrophen.
Irgendwann fährt die Bahn wieder hoch. Der Zug fährt los. Was für eine beschissene Scheiße, denke ich, 15 Minuten eingesperrt, von einer Person, die sich zum Herrn gemacht hat über uns, gehört das nicht zum Protokoll, Leute informieren, Türen freigeben, damit alle frei entscheiden können, was sie jetzt machen wollen, bleiben oder das Weite suchen?
Als ich an der übernächsten Station aussteige, bin ich zittrig, aufgelöst. Und genervt davon.
Plötzlich sehe ich das Zimmer vor mir, in das meine Mutter mich früher eingesperrt hat.