Ich gehe auf meine Haustür zu. Vor mir auf dem Gehweg zwei Frauen, die sich unterhalten, middle aged, also my age, gut aussehend, selbstbewusst, etabliert wirkend – so mein Eindruck aufgrund von Sprache, Kleidung, Kontext und all den anderen, auf irgendeinem unteren Bewusstseins-Level in Sekundenbruchteilen wahrgenommenen und interpretierten, trügerischen ersten Codes.
Eine der beiden hat einen Hund an der Leine, einen dieser kniehohen Rassehunde mit längerem Fell, nicht zu kraftvoll outdoorig, nicht zu cute, eher so freundlich solide und streichelbar. Und dann diese ganzen Männer 50plus!, sagt die Frau mit Hund gerade zu ihrer Freundin, da haben doch Frauen die Profile geschrieben! Sie bleibt abrupt stehen, die Leine ragt jetzt straff gespannt quer über den Gehweg, weil ihr Hund abrupt gestoppt hat, um die kleine Grünfläche vor meiner Haustür nach Urin, Kot und sonstigen Ausdünstungen anderer Hunde abzuschnüffeln. Auch die Freundin ist stehen geblieben und hört wartend zu, wie die Frau über die Diskrepanz zwischen den durch die Beratung der wahrscheinlich besten Freundin oder gar von Mutti? entstandenen Profilen und den real existierendem Männern beim Date klagt, die sie für so enorm hält, dass man die Profile praktisch als Betrug bezeichnen muss. Einem Betrug, an dem andere Frauen sich auch noch beteiligt haben!
Ihr Hund wiederum liest derweil in der Grünfläche die Dating-Profile anderer Hunde mit der Nase ab und kommuniziert schließlich in breiter Hocke mit Urin zurück. Ich kann nicht zu meiner Haustür, weil Frauen, Leine, Hund sich davor zu einer Familienaufstellung angeordnet haben, zu der ich nun unfreiwillig dazu gehöre, obwohl ich schon von weitem in ihrer Sichtachse war und meine Absicht durch das Zücken meines klappernden Haustürschlüssels längst klar gemacht habe. Doch die Frau ist zu vertieft in ihre Berichterstattung einerseits und ihre Hundefürsorge andererseits, die den regelmäßigen Besuch von öffentlichen Bedürfnisanstalten, in diesem Falle unserer Grünfläche vorsieht. Weswegen sie auch nichts dabei findet, dass ich dabei zusehe, wie ihr Hund die Pflanzenruinen vor dem Haus, in dem ich ersichtlich wohne, mit seinem ätzenden Urin weiter ruiniert. Die Freundin fällt den Satz: Oh, möchten Sie durch?, über die Szene, um die andere darauf hinzuweisen, dass ich da bin. Was die längst weiß.
Wir, drei mittelalte Frauen vereint in Traurigkeit und Frustration über das Abhandenkommen von Liebe und Illusionen, warten gemeinsam bis der Hund soweit ist, der nach vollendeter grundehrlicher, beratungsfreier Profilerstellung noch mit den Hinterbeinen zwei schwungvoll kratzende Striche hinter sich ins Gelände setzt, wie eine Unterschrift unter ein Gemälde oder eine Geste des Dirigenten am Ende der Partitur.
Der Weg wird frei, ich stecke den Schlüssel ins Schloss und kann nicht umhin zu denken: Der Hund ist das Symptom der Frau.