1
Shibuya. Ich will so ein verdammtes Stofftier aus einem dieser verdammten Kraken-Automaten gewinnen! Crane oder Claw Machine heißen die glaub ich offiziell. Es gibt sie in großen, lauten, mit Neonlicht clean ausgeleuchteten Läden über zwei oder drei Etagen verteilt. Die Stufen zu ihnen sind oft leicht abgeschrägt und mit Metall beschlagen, es ist immer ein bisschen, als betrete man ein Fahrgeschäft auf der Kirmes. Die Musik ist lauter J-Pop.
Es gibt kleine süße Stofftiere und riesige kuschelige. Die meisten sind, das muss man sagen: krass hässlich. Egal. Ich werfe ein 100 Yen Stück nach dem anderen ein, positioniere den Greifer, ich lass mir Zeit, ich mach das richtig gut, finde ich. Dann drücke ich den Knopf, die Krake fährt nach unten, greift, fährt hoch, das Stofftier schwankt – und fällt zurück ins Weiche, auf seinen Berg an Kumpels, statt runter in die Öffnung, also zu mir. Mir erscheint die Sache aussichtslos. Wie soll das gehen, rein physikalisch, wie viel Geld muss man da reinwerfen, damit da endlich mal was rauskommt?
Ein Junge, etwa 14, dunkle Jeans und Shirt, die übliche lässige Pony-Frisur, bearbeitet die Maschine ein paar Meter weiter. In der Plexiglas-Vitrine vor ihm eine Horde aus unanständig über- und quer zueinander liegenden riesigen Puh der Bärs. Eine fröhliche Orgie in Knallgelb. Jedesmal, wenn die Krake einen von ihnen bewegt, gehen kleine Rucks durch ihre Formation, liegen sie in neuen Konstellationen beieinander. (Ach, du! auf dich hab ich ja schon von da drüben ein Auge werfen können. Vor fünf Minuten lag ich mit meinen Kopf in deinem Schritt. Wenn du nicht bald mal dein Bein von meinem Gesicht nimmst.)
Ich versuche es noch einmal mit meinem Bunny, dann gebe ich auf. Als ich mich zum Gehen wende, steht da der Junge vor seiner Maschine und hat einen Puh der Bär in der Hand. Yes! rufe ich, mache beide Daumen hoch und lache. Er ist irre stolz, jubelt jetzt auch, beide Arme hoch, den Puh triumphierend hoch gereckt, wir gehen spontan aufeinander zu und machen High Five. Für einen kurzen Moment spüre ich seine trockene, überraschend kleine Hand. Er sagt irgendwas auf Japanisch, was ich nicht verstehe, ich irgendwas auf Englisch, das er so ungefähr versteht, so von wegen Oh my god, wow, how did you do that?
Seine Technik bleibt ungeklärt.
Da geht er hin, der dunkle Teenie-Junge, mit seinem Puh der Bär.
2
In der Nähe der Ueno Station gibt es lange Reihen mit Imbissen, kleinen Shops unter den Ubahnbögen, alles etwas rauer, räudiger, aufregend. Wir essen zwischen Häusern auf Plastikhockern, es gibt mit Käse überbackene Lobsterbeinchen, na sowas.
Wir bleiben in einer Ausschank-Bar an einer Kreuzung hängen, setzen uns dort an den Tresen. Es ist schon später jetzt, die Läden haben zu, die Restaurants und Bars noch offen. Ein junger Mann kommt, ich sehe ihn von hinten und schließt die storage Tür zu seinem kleinen Laden wieder auf. Dort liegt ein weißer Stoffbär, groß, den er wohl beim Taito Store ergattert und hier nach Feierabend vorübergehend zwischengelagert hat. Er nimmt ihn und stopft ihn kopfüber in den Rucksack. Geht nicht, zuvor muss er den blauen Bär, den er schon im Rucksack hat herausholen! Was zur Hölle mache ich falsch?! Alle haben Bärchen. Wie schaffen die es, diese Maschinen davon zu überzeugen, ihnen Bärchen zu geben? Und was macht er jetzt damit, schenkt er ihn seiner Freundin, seinem Freund, er dreht sich um, der junge Mann, den dick gefüllten Rucksack mit dem weißen und dem blauen Bär auf dem Rücken, nein, er sieht aus, als habe er Dutzende Bärchen zuhause, eine Sammlung, auf dem Sofa, im Bett, er ist selbst ein Bärchen. Er schließt die storage Tür zu. Jetzt aber wirklich: Feierabend.