Juni 2024 – Eine Frau

Ich sehe von weitem eine Frau auf der Straße. Ich kenne sie. Ich weiß, wie sie heißt. Ich weiß, dass T. was mit ihr hatte. Als wir noch zusammen waren, als wir gerade nicht mehr zusammen waren, womöglich ist sie heute noch seine neue Freundin, wer weiß das schon, ich nicht. 

Sie kannte mich. Das hat sie nicht daran gehindert. Vielleicht im Gegenteil. Und warum auch? Seine Entscheidung. Was hat er ihr erzählt? Dass es eh zu Ende ist? Obwohl es noch nicht zu Ende war. Dass es schon okay ist? Obwohl es nicht okay war. Oder war es einfach kein Thema, war ich kein Thema, da schon eine Null, nicht vorhanden, egal, übersehbar. Von beiden.

Sie ist alt geworden. Wie ich. Sie geht die Straße entlang, innerlich beschäftigt, auf dem kauend, was sie heute bei der Arbeit erlebt hat. Wie ich. Sie hatte, hat wahrscheinlich noch immer einen tollen, sicher anstrengenden Job, einen Job, den ich mir nie zugetraut hätte, obwohl ich mal in derselben Institution gearbeitet habe. Genauer: Ein Praktikum gemacht habe. Na klar. 

Ich erinnere mich, dass ich damals, als sie auftauchte, versucht habe, mich mit ihr anzufreunden. Kläglich, peinlich, habe ich ihr einen Veranstaltungsbesuch vorgeschlagen, sie auf FB angefragt. Weil ich sie nett fand, interessant. Sie mich nicht. Sie fand T. interessant. So war es meistens. 

Ich wusste nicht, dass die beiden schon mittendrin waren. Ich erinnere mich an einen Kalendereintrag. 90s-Ausstellung mit K. Der Kalender lag mit der Notiz offen auf seinem Tisch. Warum? 

Ich erinnere mich an eine Szene auf dem Balkon bei T. Während einer Party. Wie er und sie rauchend, lachend, dort standen. Ich weiß noch, was sie anhatte, ein Kleid, wie immer. Ich weiß noch, wie sie den Kopf zurück gelegt hat, eine kleine, zierliche Person, die Haare schwarz im French Cut, genau sein Typ, und laut gelacht, ihr Gebiss entblößt hat. Das ich abschreckend fand. 

Ich weiß noch, was ich anhatte.

Ich weiß noch, dass ich in der Küche nervig viel Zeit mit irgendeiner Vorbereitung irgendeines Snacks verbracht habe. Am Herd stand. Abgesprochen mit T., mein support für seine Party. 

Ihre Verachtung dafür. Für die Frau in der Küche.

Diese ganzen Demütigungen. Das Gefühl, danach, später, vor seinen Freunden, vor ihr, vorgeführt worden zu sein. Dumm gewesen zu sein, naiv. Dooftreu. Needy. Voller Angst, ein vom herannahenden Auto geblendetes Tier, in kindlicher Verweigerung verharrend, um die längst beschlossene, längst gelebte, aktive Ablehnung, die Aggression nicht an mich heran, mich nicht erfassen zu lassen.

Der ferne Anblick einer sehr fremden Person schafft es, das alles aufzurufen als wäre es gestern gewesen. Als wäre sie noch sie, ich noch ich und T noch T. 

Ich bin noch ich.