Februar 2020 – Ich war 13

Nehmen wir an, ich würde meinem 13jährigen Ich erzählen, wie ich heute so lebe.

Also, Elli, 13, du lebst in Berlin und arbeitest als Autorin. Das geht mehr schlecht als recht und du hast keinen Erfolg, aber du hängst sehr daran und willst es nicht aufgeben. Du hast oft Geld- und Zukunftssorgen. Du wohnst alleine in einer kleinen Wohnung mit einem Balkon mitten in der Stadt. Du hast nicht geheiratet und keine Kinder bekommen. Du hast eine große Liebe gehabt, die dich verlassen hat und nun bist du traurig. Du hast wenige, aber gute Freunde. Du hast Ängste und Depressionen und gehst regelmäßig zur Therapie. Du hast ein paar Reisen gemacht.

Was würde mein dreizehnjähriges Ich dazu sagen. Ein Ich, das keine konkrete Vorstellung von der Frau gehabt hat oder gewagt hat, sie zu haben, die sie einmal sein und werden will, von dem Beruf, den sie einmal haben will?

Berlin und Autorin fände sie cool. Nicht verheiratet, keine Kinder auch. Große Liebe sowieso. Aber warum, würde sie fragen, hast du so wenig Freunde? Bist du nicht nett zu den Leuten oder warum mögen sie dich nicht? Kannst du dich da nicht mehr anstrengen? Noch immer hast du so viele Ängste?, würde sie sagen (und das würde ihr Angst machen), ich dachte, das hört auf, wenn man erwachsen ist, ich dachte, das wächst sich raus. Und: Ich verstehe, würde sie sagen, dass du traurig bist, weil der mit der Liebe weg ist, aber kannst du dir nicht einen neuen Freund suchen? Und was ist mit dem Erfolg, (Geld war ihr noch nie wichtig, da hat sie schon immer trotzig getan und gefunden, das sollte auf den Bäumen wachsen.), ich meine, bist du jetzt eine Autorin oder tust du nur so? Ich dachte, würde sie sagen, und verträumt gen Himmel schauen, du fährst mal als Journalistin überall auf der Welt herum und schreibst kluge, einfühlsame, preisgekrönte Artikel und Reportagen über Menschen. Und du hast einen Freund, der dich sehr liebt und du lebst alleine oder mit ihm, aber eher alleine, in einer sehr coolen, und sehr cool eingerichteten Wohnung. Und du hast viele Freunde, gute, aber nicht wenige, sondern viele. Die kommen bei dir vorbei, und setzen sich an den Tisch, und dann gibt es Essen und alle diskutieren miteinander wie in einem Salon, und es entstehen Ideen und Gedanken, die fliegen über den Tisch, und am Ende geht aus der einen oder der anderen Sache sogar etwas hervor, ein Buch, ein Film, eine Veranstaltung. Und du kannst viele Sprachen, Spanisch, Französisch, Italienisch mindestens, aber auch Japanisch und selbstverständlich fließend Englisch, denn du bist ja so viel im Ausland gewesen und warst doch immer so gut in Sprachen.

Phff, würde ich zu Elli, 13, sagen, denn so langsam wäre ich genervt, hör du erstmal auf ins Bett zu machen. Das einzige, was du bis jetzt gemacht hast, ist, dich weg zu wünschen, in ein diffuses Rausda ohne Ideen und Umrisse, geschweige denn Ziele, achja, und: das Essen einzustellen. Als hätte das je jemanden interessiert. Während du noch vor dich hin rottest, bin ich schon längst raus, ich bin in Berlin und arbeite als Autorin, und das ist gar nicht soo weit weg von deiner doofen Journalistin mit ihren preisgekrönten Etepetete-Freunden, und nein, die Ängste wachsen sich nicht raus, sie bleiben, und kosten einen Haufen Kraft und Zeit und limitieren dich dein fucking scheiß Leben lang und du musst gegen sie kämpfen, als wärst du selbst dein größter Gegner, und du warst, ehrlich gesagt, auch nicht gerade eine große Hilfe dabei, mal früher damit anzufangen, dich damit zu beschäftigen, und deiner ganzen scheiß Familie zu sagen, was du denkst, und was du brauchst, du feiges, kleines Opfermädchen.

Elli, 13, fängt an zu weinen.

Ich entschuldige mich. Ich weiß, du bist ein Kind, du tust, was du kannst. Nein, sagt sie, das ist es nicht. Ich tue zu wenig, das weiß ich schon. Aber…

Aber was? frage ich.

Hast du mich mitgenommen? fragt sie und schaut mich hoffnungsvoll an.

Wohin, frage ich.

Na, raus, sagt sie.

Klar, sage ich, und seufze. Klar hab ich dich mitgenommen.

Anders wärs ja nicht gegangen.