Du freust dich, mich zu sehen. Du sagst, ich sei deine Schwester. Du schaust in mein Gesicht, studierst es, du magst die rote Farbe auf meinen Lippen, wie du es schon immer gemocht hast, wenn man sich schminkt, das ist doch ja, sagst du, das kannst du doch, und deutest auf deine Lippen und lachst fröhlich. Du stehst neben mir, als ich sitze und Tee trinke, du sitzt nicht mehr gern, und betrachtest mich. Du streichst mir die Haare hinters Ohr, mit deinen steif gewordenen, wegen einer Krankheit schon immer rauen Fingern, und plapperst dabei. Dann ist die andere Seite dran. Das ist eine Zärtlichkeit, die ich kaum erinnere, und aus einer anderen Zeit. Du bist zufrieden mit mir, mit meinem Anblick, das warst du nicht immer. Es ist keine Wut in mir, keine Enttäuschung, du bist so herrlich harmlos, ich finde dich rührend, witzig, sogar süß, ich bemitleide dich nicht, es gibt keinen Grund dafür, du bist bei dir, du kämpfst nicht, leidest nicht, du bist in deiner Stimmung, auch wenn sie schlecht ist und du schimpfen musst und deinen Mann beleidigen. Die Hose muss hoch, die Hose muss runter, auch mal in der Küche. Du läufst auf und ab, zählst die Schritte, die Kacheln am Boden, man weiß es nicht, du bist weniger im Kontakt als die letzten Male, mehr für dich. Du sagst Papa zu deinem Mann, deinen Vater hast du Vati genannt. Am Ende meines Besuchs sagst du plötzlich einmal den Kosenamen aus meiner Kindheit. Ich hab dich nie gehabt, und dennoch verliere ich dich.