Seit langem mal wieder! Mit Genuss und von vorne bis hinten. Der Raum erscheint mir nicht zu still mit einem Buch in der Hand.
Ivan Krastev: Europadämmerung (Rechtsruck in Europa, wieso weshalb warum, kluges, angenehmes Essay)
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims (mich überzeugende Mischung aus Biographie und Soziologie, ich staune – wie er – darüber, dass er nicht früher darauf gekommen ist, seine Klasse als Prägung zu thematisieren, ich lerne, dass sich die französischen anders als die deutschen Arbeiter als Klasse an und für sich begreifen, dass sie zu Rechtswählern geworden sind, was Eribon im (falschen, wie ich finde) Umkehrschluss dazu veranlasst, sie in eine Linke zurück wünschen und locken zu wollen, die es zurzeit nicht gibt, und die den Fehler macht, die Arbeit selbst nicht infrage zu stellen, geschweige denn den Arbeiter, aber das wird die KI-Entwicklung sowieso von alleine erledigen.
Virginie Despentes: Vernon Subutex (ich breche nach mehr als einem Drittel ab. Die Aneinanderreihung mieser Charaktere, mies ganz sicher nicht im Sinne der Erzählweise, mies in Bezug auf ihre Kälte und Ungerührtheit was Sex, Drogen und Beziehungen angeht, langweilt mich schnell. Was für eine verkommene Brut sie da zeichnet, ihren Freundeskreis womöglich, das glaubt doch kein Mensch, dass das Menschen sind. feministische Macho-Lektüre, wie schon bei ihren Filmen).
Annie Ernaux: Die Jahre. In großen Teilen wunderschönes Buch, das eine Form hat, die mich aufgrund ihrer Tagebuch-Qualitäten sehr anzieht, sowas würde ich auch gerne schreiben, sehr anregend also, trotzdem teilweise so harmonisch und wenig szenisch, dass ich eben doch auch finde, dass hier eine Lehrerin schreibt, damit meine ich, ganz böse, etwas brav geraten. Aber egal. Ich fands toll. Frauen ab 70, wo seid ihr, mehr von euch!