Juli 2018 – Spermaneid

T. erzählt mir von einer Werbung, die er kürzlich in der U-Bahn gesehen hat. Man kann Geld verdienen – „mit Samenspenden“, ergänze ich prompt. Die Werbung hab ich nämlich auch gesehen und aus irgendeinem seltsamen Grund weiß ich sofort, was er meint.

80 Euro pro Sperma, jubelt er. 80 Euro pro Spende, korrigiere ich. Wenn es pro Sperma wäre, wärst du ja nach einmal schon Millionär. Oder Milliardär? Genau!, lacht er fröhlich. Klar, sage ich, warum nicht etwas so absolut Großartiges und Kostbares wie das männliche Sperma, das sonst einfach immer nur so lapidar an- und abfällt und von niemandem weiter beachtet wird, endlich mal wieder mit Respekt, Achtung und Wertschätzung behandeln – und damit stilvoll Geld verdienen? Wird doch eh jeden Tag ein-, zweimal was von diesem Glibber-Zeug an die Luft transportiert, das sind dann 80 bis 160 Euro täglich für etwas, was sonst einfach in der Bettdecke aufgesaugt, mit dem Taschentuch weggewischt oder im Dusch-Abfluss runtergespült wird. Klar! Make Sperma great again!

T. ist still geworden. Ich werde lauter. Ich erkläre T. deutlich, dass er nicht glauben muss, dass bei diesen Datenbanken jedes dahergelaufene Sperma genommen wird. Knallharte Auswahlkriterien gibt es da! Männer im fortgeschrittenen Lebensalter zum Beispiel oder mit Hang zur Glatze, sind nicht besonders gefragt. T. sagt jetzt gar nichts mehr. Ich rede umso mehr weiter. Außerdem, sage ich, stell dir vor, ich käme an und würde dir erzählen, ich verdiene jetzt Geld mit meinem Menstruationsblut. Oder mit meinen Eiern. Beides übrigens – typisch mal wieder – bei Produktion bzw. Entnahme für die Frau mit Schmerzen bzw. Eingriff verbunden. Und im Fall von Menstruationsblut wird es wirklich von nichts und niemandem gebraucht. Während der Mann also schmerzfrei mit seinen Ergüssen Geld verdient, ja, sogar Spaß dabei hat, sie abzusondern – die Frau natürlich wieder: eine einzige Leidensgeschichte, na, danke, sage ich, und: Dass das ganz reale Konsequenzen hat, darüber denkt natürlich auch keiner nach. Am Ende ist das ein Kind, ein menschliches Wesen! Das steht dann eines Tages vor deiner Tür, mit seinem Hang zur Glatze und seinem fortgeschrittenem Alter, und sagt: Hallo, ich bin dein Sperma. Willst du das wirklich? Aber so ist das, wenn man Leuten in der U-Bahn erzählt, sie können mit Nichtstun Geld verdienen.

Ich schaue T. an, der jetzt traurig aussieht. Es tut mir leid, sage ich, und muss beinahe weinen. Weil ich so gemein war. Ich beteure, dass sein Sperma das beste ist, dass er so viele Kinder machen kann, wie er möchte, weil die alle großartig sein und die Welt verbessern werden, und dass ich, wenn ich mir ein Sperma aus der Datenbank aussuchen müsste, seins nehmen würde, aus tausend anderen, weil ich seine Fortgeschrittenheit als Erfahrung schätze und seinen Hang zur Glatze attraktiv finde, und dass ich wirklich für jedes einzelne seiner Spermien 80 Euro hinblättern würde, nicht nur für die gesamte Spende.

Okay, sagt er, und wir umarmen und küssen uns. Dann fällt ihm ein, dass er gar keine Spermien mehr hat. Die sind ja bei der Vasektomie ein für alle Mal drauf gegangen.