Vor ein paar Monaten warte ich am Alex auf die Tram. Vor mir auf dem Asphalt läuft ein kleiner Vogel auf und ab. Er ist sehr hübsch. Schlank, glänzendes, braunes Gefieder, übersät mit vielen kleinen goldfarbenen Punkten. Er erregt nicht nur meine Aufmerksamkeit, auch andere gucken: Was ist das denn für einer? Spatzen, Tauben, Krähen, klar, die üblichen Alexanderplatz-Verdächtigen, vielleicht mal ne Möwe drüben vom Kanal her, auf der Suche nach einem Fischburger, aber der hier, nee. Der ist neu. Er fiepst und trillert vor sich hin, immer so chaka-chaka mit dem Kopf, läuft vor den Wartenden auf und ab, ein bisschen aufgeregt, wie die meisten kleinen Vögel, und guckt irgendwie sehr auffordernd.
Ein älterer Herr sagt: Das ist ein Star. (Ältere Menschen wissen sowas.) Na, endlich.
Ein Star also.
Zwei Wochen später. Stare jetzt nicht nur an der Tram-Haltestelle, sondern auch dahinter locker über den Platz vor dem Fernsehturm verteilt, der erste Tourist knipst. Ihr heller Fiepsi-Sound mischt sich gleichberechtigt unter den üblichen Vogelsound, nur die Krähen sind noch immer pointierter und lauter.
Zwei Monate später. Stare latschen an der Tram-Haltestelle auf und ab wie auf einem Cat-Walk. Auf einem echten hätten sie keine Chance, sie sind alle doppelt so dick wie beim letzten Mal. Stare allein, Stare in Gruppen. Stare laufen, picken, rennen. Leute reden, spekulieren. Mir fällt ein. In der Serie Ozark erzählt der kleine Junge zum Entsetzen seiner liberalen Eltern, dass er schießen lernen möchte. Als sie ihn fragen, warum, erklärt er, er wolle Stare töten. Er hat sich mit diesen Tieren beschäftigt, Bücher über sie gelesen, Dokus angesehen. Stare sind für die Landwirtschaft ein Graus, erzählt er. Sie vermehren sich rasend schnell, und fallen in riesigen Schwärmen über Felder und Weiden her und Mensch und Tier können sich kaum gegen sie wehren.
Vier Monate seit der ersten Star-Sichtung. Diesmal S-Bahnhaltestelle Alexanderplatz. Ich fahre die Rolltreppe hoch aufs Gleis und denke, was ist das denn? Ein Lärm an der hohen Decke der Halle, ein schwärender Sound wie in einer Voliere. Die ganze Kuppel des Bahnhofs ist voller Stare!
Google. Ich gebe Star ein. Füge Vogel hinzu. Erster Treffer: NABU. „Der Star ist Vogel des Jahres 2018 und vom Aussterben bedroht.“
Leute, die übernehmen hier gerade die Weltherrschaft!