Juni 2017 – Neid

Kürzlich bekomme ich einen bösen Neidanfall.

Ich sage so dumme, missgünstige, misogyne Sachen über eine andere Frau, dass ich einen Schreck kriege, schon in dem Moment, in dem sie aus meinem Mund kommen.

T. erzählt mir beiläufig von einer Bekannten, die 10.000 Euro brutto im Monat verdient.

Da passierts.

Ich sehe das strahlende, weiße Lächeln dieser Bekannten vor mir und ihre schönen, vom Topfriseur gepflegten Haare und ihren übervollen Kleiderschrank und die Loftwohnung, die sie sich kauft, und ich sage: 10.000 im Monat?, klar, kann ich mir vorstellen, sie weiß, wie man Small Talk macht, sie kann bestimmt super mit Kunden umgehen, Sie sieht gut aus.

– Du liebe Zeit, ich könnte sie auch gleich als Prostituierte bezeichnen!

Dass sie – im Gegensatz zu mir – drei Sprachen fließend spricht, hervorragende internationale Referenzen hat, bis spät in die Nacht arbeitet, und ganz sicher in ihrem gesamten Arbeitsleben sehr viele schwierige, stressige und unangenehme Situationen durchgehalten und dabei immer kompetent ihre Arbeit getan hat – das fällt mir in dem Moment nicht ein.

Ich denke in diesem Moment nur: Warum verdient die 10.000 im Monat und ich 20.000 in einem (guten) Jahr. Hab ich mich nicht auch durchgekämpft? Hab ich mich nicht aus der Realschule über den Zweiten Bildungsweg ins Abitur gehievt, hab ich nicht ein kompliziertes, geisteswissenschaftliches Studium mit Eins abgeschlossen? Versuche ich nicht seit Jahren redlich, mich in einer schwierigen Branche durchzusetzen oder zumindest zu halten, stehe ich nicht andauernd frustrierende Arbeitssituationen durch, überwinde ich nicht ständig tausend Ängste? Bin ich nicht auch irgendwie ganz gut in meinem Job? Warum also hat sie ein entspanntes Leben und ich jeden Tag Angst um meine Existenz?

Dass Geld auf dieser Welt nicht gerecht verteilt ist, weiß ich. Vielleicht konnte man sich das in den 70ern in Westdeutschland mal für ein paar Jahre einreden, dass es da eine objektiv nachvollziehbare Logik gibt, dass wer fleißiger ist oder einen verantwortungsvolleren Job hat oder eine längere Ausbildung gemeistert hat, auch mehr Geld verdient, im Sinne von verdient. Aber im großen und ganzen war das ja global betrachtet schon immer Quatsch. Wieso die Arbeits- sprich Lebenszeit des einen Menschen mehr wert ist als die des anderen, dass die eine Branche diese Tarife hat und die andere jene (die Bekannte arbeitet bei einer großen Agentur als Projektleiterin), dass die einen Skills besser bezahlt werden als die anderen, das hat mit Mechanismen zu tun, die weit außerhalb von Gerechtigkeitsfragen liegen.

Dass verdienen und verdienen in direkter Korrelation zueinander stehen, ist eine übers System drüber gelagerte Vorstellung, die sich notwendig hält, um es am Laufen zu halten. Wie sollte man das alles sonst legitimieren? Wie sollte man sich sonst sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht? Und weil ich hier nun mal dazugehöre, kann auch ich nicht anders als zu denken, dass GELD etwas mit Anerkennung zu tun hat, und KEIN GELD eine Folge von Dummheit, Schuld und Versagen. Kurzum: Ich nehms persönlich. Und werde persönlich. Ich folge einem sehr tief liegenden, sehr alten, sehr verkrusteten, und sehr verbreiteten Reiz-Reaktions-Schema, und mache die Frau als Frau nieder. Ich tue das, was über Jahrhunderte getan wurde und noch immer jeden Tag getan wird: Ich nehme an, ich unterstelle, dass diese Bekannte nicht aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Klugheit, ihrer Fähigkeiten, ihrer Verhandlungsstärke, ihres Selbstbewusstseins den Job bekommen hat und nun gutes Geld verdient, sondern weil sie gut aussieht und nett mit den Kunden (!) Small Talk macht. Über einen Mann hätte ich das nie gesagt.

Dabei sind Frauen für mich doch eine schützenswerte Spezies! Ich will keine Frau sein, die über andere Frauen herzieht, ihnen das Leben schwer macht. Ich will mich freuen, wenn Frauen Erfolg haben, will sie unterstützen, ihnen applaudieren, stolz auf sie sein, mich mit ihnen verbunden fühlen, mir Mut holen bei ihnen, sie mir zum Vorbild nehmen, sie ein bisschen beneiden, okay, aber auf generöse, sportliche Art. Meistens klappt das auch. Aber in diesem Moment, da klappt es nicht. Irgendwo in den Untiefen meines Inneren fliegt ein Deckel weg. Die Sicherung brennt durch.

Ich weiß, aus mir spricht der Frust. Ich weiß, ich bin traurig, müde und abgekämpft. Enttäuscht von mir. Und der Welt. Aber so? Will ich nicht sein. Ich will nicht verbittert und böse sein, werden, enden.

Ich habe Entscheidungen getroffen, die Konsequenzen  haben, und diese Konsequenzen haben mich nicht von den Entscheidungen abgehalten. Aber ich habe sicher auch gehofft, dass die Konsequenzen schon nicht so schlimm sein werden.

Wie nur, wie soll ich meinen Frieden machen?