Es gibt da eine Frau, die ich nett finde, ich würde mich gern mit ihr anfreunden (und Gott weiß, dass das nicht oft vorkommt). Also mache ich, was man mir sagt, was man macht, wenn man eine Frau nett findet und zur Freundin haben möchte: Ich melde mich bei ihr. Ich verabrede mich mit ihr.
Ich komme zum verabredeten Date, aufgeregt, glücklich, wir fangen an zu reden, alles läuft flüssig, knappe zehn Minuten lang – dann steht ihr Freund vor unserem Tisch. Küsst sie zur Begrüßung, setzt sich. Ich bin verwirrt. Hab ich was Falsches gesagt, was Falsches signalisiert? Ich kenne ihn schon länger, mag ihn, aber ich wollte sie treffen. Wie haben die beiden darüber kommuniziert? Hat sie ihm erzählt, dass wir uns treffen und dann hat er gesagt, oh cool, da komm ich mit oder hat sie ihn gefragt, ob er mit will oder hat er gefragt, ob er mit darf? Ich hab keine Ahnung.
Ich verabrede mich wieder mit ihr, mache das, was man mir sagt, was man macht, wenn man sich mit jemandem anfreunden will: Nicht gleich aufgeben, ma bisschen dranbleiben. Es braucht ein bisschen, bis ich sie hab, aber dann sitzen wir wieder in einer Kneipe. Ich freue mich, umschiffe die ersten Gesprächshürden, gottseidank, wir haben uns was zu sagen, nach zehn Minuten sehe ich durchs Fenster: Ihren Freund. Schließt gerade sein Rad an. Ich kapier‘s nicht. Es ist nett zu dritt, aber. Es ist ja doch. Was anderes. Ne?!
Zeit, eine andere Freundin zu konsultieren. Die sagt: No way!, eine andere meint: Geht gar nicht. Ich bin also nicht allein mit komisch. Zeit auch, paranoid zu werden: Vielleicht hat sie ihm schnell getextet, Hilfe, Elli ist so booring, wenn du nicht gleich kommst, ramme ich meinen Kopf gegen die Holzpaneele? oder auch: Sie ist ja ganz nett, aber ich verzehre mich nach dir und kann immer nur an dich denken? Vielleicht darf sie ja auch nix mehr ohne ihren Typen machen (dafür ist sie echt nicht der Typ) oder sie dürfen nie mehr was ohne einander machen (weils so romantisch ist) oder sie findet es unhöflich, ihn nicht dazu zu holen, weil ich ihn schon länger kenne oder er denkt, ich muss da mit, hinterher geht die Schlampe ihr noch an die Wäsche oder redet schlecht über mich?, WHATEVER, Leute, was weiß denn ich.
Es gibt eine Veranstaltung in einer anderen, nahe gelegenen Stadt. Sie spielt in einem Film mit, der im Rahmen der Veranstaltung gezeigt wird. Es geht um ein Thema, das mich interessiert, das sie betrifft, und über das wir uns jedes Mal angeregt unterhalten haben, wenn wir uns gesehen haben. Ich äußere spontan die Idee, dass ich mitkommen könnte. Sie freut sich. Dann höre ich nichts mehr von ihr.
Wie schon die ganze Zeit ignoriere ich meine aufkommenden Zweifel, konzentriere mich auf den Kokser in mir (Ich bin geil, sie findet mich super, ich will was, ich sag was, dann krieg ich was), und melde mich. Eine Meisterleistung, ich brauche drei Energieriegel nachdem ich sie vollbracht habe. Sie freut sich wieder. Sagt, sie sagt Bescheid. Funkstille. Ich hab die Sache inzwischen abgeschrieben, mir erklärt, dass es jetzt sowieso zu stressig wäre, noch hinzufahren. Dann plötzlich, zwei Tage vorher, eine Nachricht von ihr. Ob ich denn noch vorhätte, da hinzufahren. Interessante Formulierung, denke ich. Sie hat evtl. ein Ticket und sogar einen Schlafplatz für uns. Ich atme ein und sage zu.
Ich stehe auf dem Gleis, der Zug fährt gleich ab, ich zücke mein Handy. Sie kommt gleich. Sie kommt eine Minute bevor der Zug abfährt. Wir steigen ein.
Als wir bei der Veranstaltung ankommen, auf die Filmleute warten, mache ich ein Foto von ihr im Foyer. Ich schicke es einem Freund, dem ich von der ganzen Sache erzählt habe. Der tippt zurück: Ist das da hinten ihr Freund? (Hahar. Nein, das ist nicht die Pointe).
Als die Filmleute kommen, ist mir meine Anwesenheit plötzlich unangenehm. Ich bin „eine Freundin, die mitgekommen ist“. Von wegen – ich kenn‘ sie kaum. Ich hab mich hier voll reingeasselt, inklusive Ticket und Schlafplatz.
Der Film ist großartig, ich find ihn richtig gut, ihren Auftritt auch. Wir gehen auf die Party, es ist ihre Party, sie hat alles Recht darauf, sie trinkt, redet, flirtet, mal hier und mal da so im Raum, ich halte gut mit, unterhalte mich, wir überschneiden uns manchmal auf ein paar Worte, aber immer nur kurz, ansonsten ist sie, wo sie ist, und will da auch sein, und ich bin möglichst bei mir statt bei ihr.
Irgendwann will ich eigentlich nur noch zum Pennplatz, den sie organisiert hat, doch daran ist nicht zu denken, macht ja nix, ich bin hier ja nicht der Spielverderber, also tanze ich, rede nochmal irgendwo, trinke, aber so ganz kann ich irgendwann nicht mehr. Sie kümmert sich auch den Rest des Abends nicht mehr um mich.
Irgendwann, schon schwer betrunken, fängt sie an, ihr Top auszuziehen und im BH dem Typ mit dem sie sich unterhält, ihre Tattoos zu präsentieren. (Vielleicht kommt es mir nur so vor, aber es scheint schon den ganzen Abend darum zu gehen, den Leuten zu zeigen, dass sie kein langweiliges Mäuschen ist, dass man sie nicht unterschätzen sollte, obwohl das niemand vermutet, niemand tut. Vielleicht hat sie Sorge, dass das im Film so rübergekommen sein könnte.) Eine Runde von Interessierten bildet sich um sie, ihr alle wohlgesonnen, alles warm und weich, keine Gefahr, aber ich frage mich, ob es meine Aufgabe ist, als eine Freundin, die mitgekommen ist, ihr zu sagen, dass man den Abend so langsam mal zumachen sollte.
Sie ist so betrunken, dass sie die Tür vom Fahrersitz für die vom Rücksitz hält. Ich bitte darum, mich am Bahnhof rauszuwerfen, zum Pennplatz zu fahren würde sich nicht mehr lohnen, um kurz nach 6 geht mein Zug. Es ist halb fünf.
Der Bahnhof ist leer, kalt, und nur McDonalds hat offen. Da sitze ich mit den anderen Assis, einzeln in Plastiklederecken verteilt, und trinke heißen Wasserkakao. Die Frau hinterm Tresen hat gleich Feierabend, deshalb oder weil es so Firmenpolitik ist, schenkt sie mir zwei kleine Schokoladen. Wir reden ein bisschen. Ich bin müde, übernächtigt, zittrig. Ich mag was ich erlebt habe, denn ich hab was erlebt, und doch ist klar:
Ich war verliebt in eine Frau und sie hat mich vorgeführt.