Mai 2016 – Paketnachbarn

Frau Fürchtegott (Name von der Redaktion geändert, aber in Annäherung an den richtigen) nimmt gern die Pakete aus der Nachbarschaft an.

Der Postbote ist froh darüber. Der geht zu Frau Fürchtegott und lädt da den gesamten Paket-Mist der Straße ab, das geht schneller und bringt weniger Ärger. Jedenfalls ihm. Ich muss dann im Internet recherchieren, wo mein Paket abgeblieben ist oder im ganzen Haus rumlaufen und danach fragen und noch mehr Nachbarn kennen lernen, die ich gar nicht kennen lernen will. Einen Zettel kriegt man nämlich auch nicht mehr in den Briefkasten geworfen. Aber inzwischen, nach ein paar Wochen (ich bin ja neu hier!) ist eigentlich klar, wo das Paket ist, nämlich bei Frau Fürchtegott.

Bei Frau Fürchtegott steht N. + E. Fürchtegott an der Klingel. Ich weiß nicht, wer N. und wer E. ist, aber: Sie wohnt mit ihrem Sohn zusammen, der ungefähr Mitte vierzig ist und wahrscheinlich noch  nie oder seit der Wende nicht mehr gearbeitet hat. Sie ist dick und hat schlechte Zähne, keine Überraschung. Die beiden haben einen Hund, der sehr sehr süß ist, so einen kleinen Mischling, der mir immer den Eindruck macht, dass er tendenziell genervt ist vom White Trash, der ihn umgibt, jedenfalls will er jedesmal, wenn ich mein Paket abgeholt habe, und den Rückzug antrete, unbedingt mit. Er läuft mit mir bis runter zur Haustür und ist nur sehr schwer zu bewegen, wieder zurück zu gehen zu den Anstrengenden Verrückten, die das Schicksal ihm als Herrchen zugespielt hat. Aber wie das so ist: Seine Herrchen sucht man sich nicht aus.

Erst auf mehrmaliges strenges Rufen von N. + E. Fürchtegott, und mein bedauerndes Achselzucken hin, gibt er klein bei, und hopst, plötzlich schwerfällig geworden, Stufe für Stufe zurück nach oben in den ersten Stock und verdreht dabei fürchtegottergeben die Augen, während ich mich mit meinem Paket durch die Plattenbau-Haustür aufatmend in die Freiheit entlasse.

Um an das Paket zu kommen musste ich zuvor an der Fürchtegott-Wohnungstür meinen Ausweis vorzeigen, woraufhin etwas aufgeregt ein kleiner Raum durchsucht wurde, der vom Fürchtegott-Flur abgeht (Ost-Plattenbau-Mini-Flur mit dickem Teppich und Wand-Schrank-Garderobe), der wirkt als wäre er extra konzpiert worden für die Aufbewahrung der Gesamt-Pakete der Straße, herumgesucht, von links nach rechts sortiert und unter Zuhilfenahme von Lesebrillen Namen vorgelesen, dich ich gar nicht hören will, und mit dem Namen auf meinem Ausweis verglichen.

Kürzlich  klingelt es abends an meiner Tür. Ich hab ein Paket für sie, sagt die Gegensprechanlage. Ich zieh eilig Schuhe an und werf ne Jacke über die Jogginghose, steht da Frau Fürchtegott vor der Haustür mit meinem Paket. Sie erläutert, dass sie abends ihre Runde dreht und die Pakete ausliefert. Sie stellt ein paar indirekte Neugier-Fragen, die ich elegant nicht beantworte, finde dafür umso mehr über sie heraus, es ist ein netter freundlicher Schwatz, und ich bedanke mich bei ihr.  Ob sie das stört, frage ich, wenn der Postbote die Pakete bei ihr abgibt – die reine Schleim-Höflichkeit, ich weiß ja längst, dass sie ihren Job liebt. Nein, nein, erklärt sie bescheiden, sie mache das gern. Nur einmal habe sie abgelehnt für jemand weiter Pakete anzunehmen, das wären so zwei – sie senkt die Stimme – „Ausländer“ gewesen, die hätten ihr ihren Ausweis nicht zeigen wollen und wer weiß, was in den Paketen drin gewesen wäre und am Ende wäre sie noch verantwortlich gewesen.

Interessant, denke ich. „Ausländer“ wird hier geflüstert.

In Berlin-Mitte, da ist das so. In Erfurt oder Jena würde das keiner flüstern, im Gegenteil. Ist schon richtig korrekt hier.

Zurück in der Wohnung versuche ich online einen Button zu finden, der sagt: Bitte nicht beim Nachbarn abgeben. Aber das ist bei DHL leider nicht möglich.