1 Es ist doch so. Irgendwann im Laufe dieses frühen Werdens, also ganz ganz am Anfang, so auf der Ebene Zellklumpen, muss es einen Moment geben, in dem ein menschliches Herz anfängt zu schlagen. Zum ersten Mal. Ein Muskel muss sich gebildet, ansatzweise in vier Kammern geteilt haben, Venen, Arterien müssen angelegt sein, die auf mirakulöse Weise wissen, was zu tun ist – von einem bestimmten Moment an. Was ist das für ein Moment? Warum fängt irgendetwas an, zu schlagen, zu pumpen, ein sonores Geräusch zu verursachen wie eine Uhr oder ein Getriebe? Und warum redet niemand darüber? Man spricht darüber, dass ein Herz aufhört zu schlagen. Dass es stehen geblieben ist. Ein ähnlich gruseliger Moment, aber medizinisch viel nachvollziehbarer. Ein Herz pumpt und pumpt und tut was es soll, ohne jede Motivation, ohne jedes Zutun von irgendwas oder irgendwem, jahrzehntelang, bis es älter wird, anfälliger, müder, aus dem Takt gerät , und eines Tages, bleibt es stehen. Einfach so. Aber keiner denkt an den Augenblick, in dem es angefangen hat, indem es wahrscheinlich eher ein Zucken war als ein Schlagen, ein rhythmisch pumpendes Zucken, ein kleiner Blutschub durch dünnwandiges Gewebe. Nicht mal in der Abtreibungsdiskussion spielt das ne Rolle.
2 Bei der Gynäkologin im Wartezimmer lassen sie immer die Tür offen, wenn im Hinterzimmer die Herztöne der Babys aufgezeichnet werden. Ich hasse das! Es ist ein lautes, manchmal kruschelndes Geräusch, fump fump fump, ähnlich dem, das man hört, wenn man sich mit dem Finger rhythmisch im Ohr bohrt. Es ist so intim, dass mir manchmal ganz schlecht davon wird und ich will, dass es aufhört. Ich finde es obszön und unpassend, dass man mir die Herzgeräusche anderer Lebewesen aufzwingt, ich finde das eine Grenzüberschreitung in alle Richtungen, in meine, in die der Babys, und die der Schwangeren. Ich halte meine eigenen Herzgeräusche schon kaum aus, und auch die von T. finde ich nicht immer einfach beruhigend oder schön, im Gegenteil, in mir erzeugt das Hören von Herztönen eine Unruhe, eine Nervosität, eine diffuse ANGST. Keine Ahnung warum. Kann es so unangenehm gewesen sein im Bauch meiner Mutter? Hat es mich da schon nervös gemacht? Oder macht es mir Angst, weil es aufhören könnte, das Geräusch? Weil durch das Schlagen klar wird, dass es sich um einen Muskel handelt, eine Innerei, ein Organ, so banal wie komplex, dem es egal ist, wie es dir geht oder was aus dir wird, es macht seinen Job, den Rest machst du oder auch nicht. Brutale Natur, kein Schischi, hier wird gelebt oder auch nicht. Wie es gelebt wird und warum und wer es lebt, ist dem Herz egal.
Ich fasse fest meine Zeitschrift an, da im Wartezimmer, und versuche keine schwitzigen Hände zu kriegen und mich auf was anderes zu konzentrieren, Rezepte, Portraits, die Fashion-Strecke. Manche Babys haben unregelmäßige Herztöne, so dass man sich schon Sorgen macht, manche zarte, schwache, andere schnelle, kräftige oder präzise. Die schwangeren Frauen kommen dann raus, aus diesem Hinterzimmer, und es ist komisch, sie zu sehen, weil man gehört hat, was in ihrem Bauch vor sich geht. Wer da so drin ist. Dabei geht mich das nichts an. Dabei will ich das gar nicht wissen! Aber es scheint niemanden zu stören, außer mich. Die Leute scheinen eher gerührt. Ich verstehe, dass Eltern weinen, wenn sie das Herz ihres Kindes im Ultraschall schlagen sehen, wirklich, ich verstehe das. Aber als ich aufgerufen werde, bin ich wieder mal so froh, dass ich nicht wegen Schwangerschaft da bin.