November 2015 – Jessica Jones

In Bikerboots, Jeans und Lederjacke stiefelt Jessica Jones durch ein klassisches brick-building-New York, vorbei an den Anzugtypen, den Obdachlosen, den Hipster-ladies und den Food-truck-Immigranten, die die Stadt und ihre Vielfalt schon immer am besten repräsentiert haben. Die lights sind blurry, die tunes eher jazzy, nehmen dann aber auch gerne mal Fahrt auf. Jessica ist  kein nettes Mädchen. Sie ist angry. Sad. Und ziemlich abgegessen.

Dass ihr ein Trauma widerfahren sein muss, merken wir schnell. Sie hat Flashbacks, ähnlich wie ein Soldat mit Posttraumatischen Belastungssyndrom. Ihren Job als PI – Private Investigator – erledigt sie von ihrer eher herunter gekommenen Wohnung aus, die gleichzeitig ihr Büro ist. Ein großer Schreibtisch, eine Film-Noir-Jalousie und eine Whiskyflasche in der Schublade, zu der Jessica gern greift, geben der Sache  den richtigen Humphrey Look. Wenn sie ihre Füße in den Boots auf den Tisch legt, ist das ein Moment, in dem es ihr sichtlich Spaß macht, ein Mädchen in einem klassischen Männergenre zu sein. Das Milchglasfenster in der Eingangstür mit der Aufschrift „Alias Investigations“, ist zerbrochen, und nur notdürftig mit Karton abgeklebt, wird aber im Laufe der ersten Staffel ausgetauscht.

Ihr Jobs erledigt Jessica rasch und ohne große Empathie. Im Endeffekt wühlt sie ja doch immer nur im Dreck der anderen oder wühlt den Dreck der anderen auf.

Dass Jessica eine Superheldin ist, spielt für sie und die ersten Folgen zumindest auf der Action-Ebene so gut wie keine Rolle. Selten hat eine Superhelden-Comic Verfilmung so angenehm langsam und auf Augenhöhe mit dem zivilen Protagonisten gespielt. Jessica will keine Superheldin sein und auch mit ihren ehemaligen Kollegen nichts zu tun haben. Das Kostümchen, das sie früher mal getragen hat, kommt ihr und uns vor wie ein Witz, so als wolle man eine kampferprobte Amazone in ein rosa Tütü zwingen. Sie kann auch gar nicht viel Supermäßiges. Sie hat viel Kraft, und kein Problem, ein Auto festzuhalten oder ein paar Typen oder Sachen zusammen zu schlagen. was ihr in ihrem Job zugute kommt. Im großen und ganzen hält sie es aber diskret mit ihren Kräften und so wirkt das eher wie ein Teil ihrer Job Description. Jessica kann nicht mal fliegen, nur hoch springen. Und so kommt sie einem vor wie die Schmalspur-Version einer Superheldin, bei der mitten im Umbauprozess (wie meistens bei Superhelden ein Unfall, ihre Eltern und ihr Bruder sind dabei gestorben) was nicht zuende geführt worden ist. Das gibt ihr etwas angenehm dysfunktionales, und macht sie zu einem ungeheuer glaubwürdigen, modernen, sympathischen Mädchen.

Ihr großer Gegenspieler taucht lange nicht in persona auf. auch das erzählerisch eine kluge Entscheidung. Der Mann, der für ihr Trauma verantwortlich ist, nimmt über einen Fall zu ihr Kontakt auf. Als sie begreift, dass der Mind Fucker Kilgrave, der sie über Jahre im Griff hatte, und sie bis zu einem Mord manipuliert hat, zurück in der Stadt ist, will sie nichts anderes als: Weg! Nur weg, so weit wie möglich. Das Schicksal einer jungen Frau, die Kilgrave in einem Hotelzimmer festhält, missbraucht und sie am Ende dazu bringt, ihre Eltern zu erschießen, appelliert aber an ihr Verantwortungsgefühl. Sie folgt ihrem Ruf, denn sie und ihre Freundin Trish, eine erfolgreiche Radiomoderatorin, zu der sie ein schwesterliches Verhältnis hat, wissen: Wenn einer eine Chance hat, Kilgrave unschädlich zu machen, dann ist es Jessica.

Außerdem gibts noch tolle Nachbarn (einen Junkie und ein crazy Zwillingspaar), einen schwarzen Barkeeper – ihr love interest, einen Ken-artigen Polizisten, der zu militaristischem Übereifer neigt, eine beinharte lesbische Anwältin und natürlich so klassische Superhelden-Story-Zutaten wie Kraftverstärkung, wissenschafltiche Experimente, Föten und Potions.