Frau Dr. S mag ich sofort. Sie ist Ende fünfzig, heißt Katja (alle Namen von der Redaktion gefälscht) mit Vornamen, und erinnert mich an eine SBahn-Abfertigungsfrau, die ich neulich beobachtet habe, weil sie aussah wie aus einem russischen Film der 70er Jahre und ihren Arm um ihre Kollegin gelegt hat. Sie war klein, ein bisschen gestaucht in der post-menopausalen Taille, die Kinder längst groß und aus dem haus, einen Beruf ausübt, an dem sie hängt, weil es ein guter Beruf ist. So ist Frau Dr. S. Acuh sie würde einer langjährigen Kollegin sicher kumpelhaft den Arm um den Hals legen wäre sie hier als osteuropäische Migrantin nicht allein unter deutschen Männerärzten.
Sie redet mit mir und untersucht mich eine Stunde lang.
Der Computer ist nicht ihr Freund. Immer was Neues, sagt sie zu mir, und zu ihm, mit ihrem starken Akzent, und schüttelt ihren Kurzhaarkopf.
Sie fragt, ob ich Kinder habe. Nein. Oh, warum nicht? fragt sie mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. Jetzt mag ich sie noch mehr als vorher. Selten ist mir so eine aufrichtige spontane Emotion entgegen gekommen bei diesem Thema und ich freue mich für den Sohn, den sie höchstwahrscheinlich hat und der höchstwahrscheinlich Alexander heißt und aus dem was geworden ist, bei allen Sorgen, die sie mit ihm auch gehabt hat.
Armes Ding sagt sie, als ich ihr von meinen Schmerzen erzähle und all den idiotischen Unverträglichkeiten. Auch das hab ich noch nie gehört. Ein offenes, geradeaus erteiltes Mitleid, eine Art von Sorge, die zu äußern sich kein Arzt einen Zacken aus der Krone brechen würde, und den sie als selbstverständlichen Teil ihres Berufes sieht.
Sie könnte auch Chemikerin sein, in ihrem weißen Kittel, oder in der Küche einer Kantine arbeiten, man würde ihr all das abnehmen und all das würde sie gut machen.
Sie lacht, als ich sage, dass ich nicht mit meinem Freund zusammen wohne, weil wir uns dann besser vertragen.
Sie staunt, als ich ihr sage, ich hätte mir zum Arbeiten eine Art Stehtisch gebaut.
Sie ist nicht zufrieden, als ich das rechte Bein gerade mal 40 Grad hochkriege.
Sie findet, ich hätte mich operieren lassen sollen. (Anders als ihr Chefarzt).
Ich liebe diese Pragmatik.
Wir sind so weit entfernt voneinander, aber sie mag mich. Und ich mag sie.
Als ich die Klinik verlasse, sage ich ihr, dass sie gut auf sich aufpassen soll.