Frau Juni-Schmidt ist 87 und sitzt beim Essen neben mir. Sie hat ihren ersten Namen vom ersten Mann und den zweiten vom zweiten. Seit der gestorben ist, hat sie 5 Kilo zugenommen. Das ärgert sie.
Sie können ja jeden Tag Kuchen essen. Mit Sahne drauf! Sagt sie zu mir. Und Eis. Mein Essen beschäftigt sie. Sie waren ja gar nicht beim Frühstück. Ich hab sie heute im Cafe gesehen, sie haben sich ein Eis geholt. Essen sie nur ein Brot zum Abend? Ich esse ja auch jeden Tag Salat. (Ich hasse Kommentare über mein Essverhalten zu dem sich Frauen Zeit meines Lebens bemüßigt gefühlt haben, aber bei Frau Juni-Schmidt nehm ichs mit Humor).
Sie kommt mit einer erstaunlichen Erkenntnis vom Vortrag der Diätassistentin. (Also das war jetzt mal interessant!). Endlich versteht sie, wieso ihre Schwester, 7 Jahre jünger als sie (also 80), inzwischen aussieht wie eine Gewitterhexe, „also Entschuldigung, ich muss es so sagen“. – Sie ernährt sich falsch! Jeden Tag eine Dosensuppe. Frau Juni-Schmidt hingegen isst jeden Tag frische Petersilie, Gemüse aus dem Garten, also wenn’s danach geht müsste sie hundert werden!
Sie erzählt mir von ihrem zweiten Mann. Den hat sie ja, erzählt sie mir mit leicht gesenkter Stimme, über Anzeige kennen gelernt. Sie hat das Gefühl, das erklären zu müssen. (Für einen Moment überlege ich, ob ich ihr von Tinder erzähle, aber das lass ich lieber). Sie war ja erst Ende fünfzig als der erste gestorben ist. Und immer allein, das war nichts für sie. Sie gibt mir einen Rat mit auf den Weg: Die Chemie muss stimmen. Ich nicke zustimmend. (jetzt vielleicht, Tinder?) Mit dem zweiten hat sie schöne Reisen gemacht, Kreuzfahrten, überall hin, schöne 12 Jahre hat sie mit dem noch gehabt (12, die Rechnung geht irgendwie nicht auf, aber wer mit dem Alter flunkert, hat mein volles Verständnis. Tinder?). Die Kinder haben ihn gemocht. Dann wurde er krank. Sie hat sich ne Polin geholt. So sagt sie das. Die hat bei ihr gewohnt, in dem kleinen Zimmer oben. Mit der hat sie auch Kaffee getrunken. Die hat jeden Tag ihre Mittagspause gemacht, immer von 12 ab, da gabs nix, da ist sie auf ihr Zimmer. Aber sonst war sie immer da, Tag und Nacht. Und man konnte sie bezahlen. Pflege ist so teuer, das ist ihre größte Sorge vorm Heimkommen. Denn ohne Hilfe wird es nicht mehr gehen.